Arbeit soll ein Reich der Freiheit sein

Wer heute nach einem erfolgreichen Studium oder einer Lehre in den Arbeitsmarkt eintritt, hat in der Regel ein anderes Verständnis von Arbeit als ihre Großeltern. Sie wollen nicht mehr leben, um zu arbeiten. Aber auch nicht die Arbeit runterreißen, um das wahre Leben in der Freiheit zu genießen. Heinz Bude erläutert: „Sie wollen vielmehr ein Gefühl der Lebendigkeit bei der Arbeit haben und nehmen dafür in Kauf, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Leben fließend werden.“ Arbeit soll nicht bloß ein Reich der Notwendigkeit, sondern auch eins der Freiheit sein. In Begriffen der Wertung von Arbeit haben sich offenbar insgesamt die Gewichte verschoben. Heinz Bude studierte Soziologie, Philosophie und Psychologie. Seit dem Jahr 2000 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel.

Arbeit soll selbstgesteuert sein

Viele Arbeitnehmer wollen nicht mehr zu jenen gehören, die Arbeit als ein primär unselbstständiges, von anderen kontrolliertes Tun erleben. Sondern sie wollen sich denen anschließen, die ihre berufliche Tätigkeit als ein eigentätiges, von einem selbst gesteuertes Arbeiten auffassen. Man würde Karl Marx zustimmen, dass das Reich der Freiheit erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhöre. Auch würde man ihm beipflichten, dass es der Natur der Sache nach jenseits der eigentlichen materiellen Produktion liege.

Aber man würde gegen Karl Marx behaupten, dass die Tätigkeit, die sich als Selbstzweck gilt und für ihn das Reich der Freiheit ausmacht, heute schon im Reich der Notwendigkeit beginnt. „Wir nennen es Arbeit“, behauptet in der Mitte der nuller Jahre eine digitale Boheme. Sie propagierte ein intelligentes Leben jenseits der Festanstellung. Das hat Folgen für die Lohnform der Arbeit. Man wird nämlich nicht mehr nach Zeiteinheiten für ertragene Indifferenz bezahlt.

Der Lohn muss für eine würdige Existenz reichen

Vielmehr werden Zielvereinbarungen für nicht nach Zeitaufwand abrechenbare Leistungen verabredet. Diese werden bei Misslingen mit dem Grundgehalt, bei Gelingen aber mit einer zusätzlichen, für das persönliche Einkommen sehr interessanten Prämie vergütet. Heinz Bude stellt fest: „Buchstäblich vor unseren Augen entsteht ein neues Ideal betrieblicher Sozialisation. Dieses ist weder Fabrik- noch Bürosozialisation, sondern das Ideal der Selbstsozialisation in Eigenbetrieblichkeit.“

Das Paradox dieser neuen Vorstellung von Kollaboration und Kreation besteht darin, dass sie eine Individualisierung der Entlohnung mit sich bringt. Die Lohnform von Tarifverträgen für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse garantiert die lebenslange Subsistenz der Lohnarbeit im Kapitalismus. Mit anderen Worten: Der Lohn muss für eine würdige Existenz reichen. Und die Lohnabgaben sollen dies auch für das Alter oder im Falle von Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit ermöglichen. Die Honorarform von Prämien für selbstständige Arbeit setzt an die Stelle dieses grundlegenden Prinzips der Garantie von Subsistenz und Teilhabe das existentielle Risiko eines eigenbetrieblichen Finanzhaushaltes für eine auskömmliche Lebensführung. Quelle: „Solidarität“ von Heinz Bude

Von Hans Klumbies