Alle Menschen verfügen über ein unbewusstes Gespür für Zeit

Auch die heutigen Menschen haben, seit ihrer Geburt, was schon ihre Vorfahren hatten, sogar jene, die noch gar keinen Wecker kannten, eine Art siebter Sinn, ein permanentes, unterbewusstes Gespür für Zeit. Peter Spork behauptet: „Wenn wir lernen, dieses Zeitgefühl für uns arbeiten zu lassen, wenn wir es noch besser verstehen und Teile unseres Lebens gezielt danach ausrichten, dann wird es uns gelingen, was in der jetzigen, auf Optimierung und Wachstum ausgerichteten Gesellschaft unmöglich erscheint: Wir werden mehr erreichen, obwohl wir weniger tun.“ Außerdem werden sich die Menschen, die so leben, besser fühlen sowie gesünder und fitter sein. Der Körper weiß ganz ohne Zutun des Bewusstseins, wann ein Mensch aufstehen soll. Knapp zwei Stunden bevor eine Person aufwacht, regt sich nämlich bereits das Zwischenhirn. Der Neurobiologe Peter Spork ist Wissenschaftsjournalist.

Menschen besitzen eindeutig eine innere Uhr

Im Zwischenhirn, einer entwicklungsgeschichtlich alten Struktur im Zentrum des Denkorgans, beginnt für den menschlichen Körper der Tag. Wer am Anfang des vergangenen Jahrhunderts an eine innere Uhr im Menschen glaubte, galt noch als esoterischer Spinner. Doch allmählich wurden die Spötter weniger und leiser. In sogenannten Bunkerexperimenten kamen Forscher zu dem Resultat, dass der Mensch die Zeit aus sich selbst heraus misst. Er besitzt eindeutig eine innere Uhr, wobei sie allerdings aus eigener Kraft ungenau geht. Sie ist zirkadian, sagen dazu die Forscher.

Heute wissen die Wissenschaftler, dass die Menschen nicht eine, sondern Billionen innerer Uhren besitzen. Peter Spork erklärt: „Denn zumindest theoretisch ist jede unserer Zellen ihre eigene Uhr. Diese Uhren werden selbstverständlich miteinander koordiniert und stimmen sich aufeinander ab. Ein innerer Tag dauert beim isoliert lebenden Durchschnittsmenschen etwa 24 Stunden und 20 Minuten.“ Das gilt allerdings nur in der völlig künstlichen, experimentellen Situation eines Lebens ohne jedwede äußere Information über die tatsächliche Zeit, ohne sogenannte Zeitgeber.

Innere Uhren gab es schon vor 600 Millionen Jahren

Im Alltag ist das menschliche Zeitgefühl viel exakter. Unbewusst spürt ein Mensch immer haargenau, wie viel Uhr es gerade ist. Das gelingt ihm, weil sich seine biologischen Uhren mit Hilfe der Zeitgeber aus der Umwelt permanent selbst korrigieren. Peter Spork erläutert: „Dass wir oft Sekunden vor dem Weckerklingeln aufwachen, ist deutlichster Beleg dafür. Aber auch, dass wir im Allgemeinen zur gleichen Zeit Hunger bekommen oder abends müde werden. Das Zusammenspiel aus inneren Bio-Uhren und Abstimmung mit der Außenwelt ergibt also ein ebenso genaues wie anpassungsfähiges System zur Zeitmessung.“

Entstanden und perfektioniert wurde dieses Messsystem in Abermillionen Jahren der Evolution. Immerhin existiert die Erde seit rund viereinhalb Milliarden und Leben seit circa dreieinhalb Milliarden Jahren. Wissenschaftler hegen inzwischen keinen Zweifel mehr daran, dass es innere Uhren schon vor 600 Millionen Jahren gab, als der letzte gemeinsame Vorfahr von Mensch und Fliege lebte. Peter Spork: „Wirklich wahr: Die Uhren unserer Zellen und jene der Fliegen sind miteinander verwandt.“

Von Hans Klumbies