Die bislang relativ erfolglosen Bemühungen, die Finanz- und Schuldenkrise einzudämmen, scheinen Europa dazu zu führen, den Glauben an sich selbst zu verlieren. Das provoziert für Wolfgang Hetzer die Frage, ob eine Währungsgemeinschaft, in der sich der Zweifel eingenistet hat, überhaupt noch funktionieren kann. Geld kann der Angst alles zu verlieren nur damit begegnen, wenn alle von der Glaubwürdigkeit der Währung überzeugt sind. Schwindet das Vertrauen kann laut Wolfgang Hetzer jede Währung zusammenbrechen. In der Geschichte beruhte der Glaube der Gemeinschaft immer auf einem Herrscher oder einer Regierung. In der Gegenwart fehlt es aber an einer derartigen Inkarnation der Gemeinschaft. Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.
Der Kapitalismus und die Demokratie ergänzen einander
Wolfgang Hetzer erklärt: „Mangels einer neuen Leitidee Europas dürfte soziale Gerechtigkeit als der stärkste Kitt einer demokratischen Gemeinschaft die Vorraussetzung für Vertrauen und den Glauben an die Gemeinschaft sein.“ Es geht seiner Meinung darum, die Dynamik des Geldes einzudämmen. Nur so wird Geld zum Vermittler zwischen Individuum und Gesellschaft. Die Sucht nach Bereicherung wird dagegen als der Motor nicht nur von sozialer, sondern auch ökonomischer Verwüstung angesehen.
Während der Kapitalismus den einzelnen Menschen mit seinen Interessen an Profit in den Mittelpunkt stellt, steht in der Demokratie der Bürger mit seinem Stimmrecht im Zentrum. Beide ergänzen einander. Das Geld hat laut Wolfgang Hetzer sogar demokratisierende Effekte gehabt. Mit der Aufgabe des Goldstandards sei seiner Meinung nach allerdings der Aufstieg des Finanzkapitalismus eingeleitet worden, ein Phänomen ausufernden Geldes. Geld ist in der Gegenwart zu einem Zeichen mit wenigen oder extrem vielen Nullen degradiert. Für die meisten Menschen ist es extrem schwierig mit dem hohen Grad der Abstraktion zurechtzukommen.
Geld aktiviert im Gehirn dasselbe Areal wie Kokain und Sex
Nur die Sexualität oder die Religion entfesseln sonst eine ähnliche Leidenschaft wie die emotionale Energie des Geldes. Wolfgang Hetzer erläutert: „Neuere wissenschaftliche Forschungen kommen zu dem Ergebnis, dass der Umgang mit Geld im Gehirn dasselbe Areal aktiviert, das auch nach dem Genuss von Kokain und Sex stimuliert wird: in allen Fällen, also auch bei Geld, scheint der Verstand mithin auf der Strecke zu bleiben.“ Diese Phänomene des Selbstbetrugs und der Abdankung der Vernunft haben auch kollektive und strukturelle Dimensionen.
Wolfgang Hetzer fragt sich auch, ob sich mit der Geschichte des Geldes wirklich auch eine Kulturgeschichte ereignet hat oder ob damit lediglich ein Medium barbarischer Fremdschädigung Selbstdemütigung entstanden ist. Bei der Alchimie der Geldschöpfung steht zuerst ein Staatsakt, der Geld als Geschöpf der Rechtsordnung konstituiert. Wolfgang Hetzer schreibt: „Nötig ist nur ein Testat oder eine zwischenstaatliche Vereinbarung, und schon hat sich die D-Mark in den Euro verwandelt. Dabei muss Geld rein gar nichts an Wert beinhalten. Papier-, Kreditkarten- und Buchgeld sind ohne Bürger völlig wertlos.“
Von Hans Klumbies