Die gesellschaftliche und politische Emanzipation des Bürgers fand auch und ganz besonders alltagsnah im Konsum statt. Ulf Poschardt stellt fest: „Das ehrgeizige Bürgertum robbte sich gebückt an den Lebensstil des Hofes und der Adeligen heran.“ Molières „Bürger als Edelmann“ versucht eine Art Travestie höfischen Lebens, um sich gewissen Privilegien anzunähern. Diese hatten Adel und Kirche in Gestalt von Kleider- und Trachtenordnungen erlassen. Gewissen Stoffe und Farben, aber auch luxuriöse Pelze waren nur Privilegierten zu tragen erlaubt. Und so entwickelte sich ab dem 17. Jahrhundert in Frankreich eine bürgerliche Streberkultur. Deren Traum war es, prassen und prunken zu dürfen wie der hohe Adel und die Edelmänner. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).
Der Konsum zeigt den sozialen Rang an
Die Kirche wird dabei an Sonn- und Feiertagen zu einer Bühne bürgerlicher Anliegen der Repräsentation. Die Bürgerlichen versuchen aus dem konsumistischen Windschatten des Adels herauszutreten. Alle inneren Sehnsüchte wandern an die Oberflächen der Kleider und Mäntel. Wie später in den Romanen von Honoré de Balzac ist der Entwicklungsroman auch eine Spurensuche im Konsumverhalten seiner Helden. Mit der Emanzipation des Bürgertums wächst die Neigung, den eigenen wirtschaftlichen Erfolg nach außen zu konsumieren.
Der Konsum war nicht nur die Erdung des sozialen Ranges in einer gesellschaftlichen Alltagspraxis. Mit dem Erkämpfen der Konsumfreiheit und anderer Privilegien ist es wie mit allen anderen Freiheiten. Sie bedeuten für die Emanzipierten, diese Freiheit verantwortlich zu nutzen und auch diesen Freiheitsgenuss mit Mündigkeit zu verbinden. Die Identität des Bürgers wurde im Konsum ablesbar und kommunikationsfreudig eingesetzt. Diese bot auch die Chance zu ethischen Repräsentation des Bürgerlichen.
Zur Demokratie gehört die Freiheit des Verbrauchers
Die Idee des mündigen Konsumenten kommt in einer ganz bestimmen Welt auf. In dieser musste das Bürgerliche selbst keinerlei Geducktheiten vor Adel oder anderen Privilegierten mehr erdulden. Ulf Poschardt erklärt: „Im mündigen Konsumenten kommt der bürgerliche Konsument im Ernst des sittlichen Pflichtgefühls an.“ In der bürgerlichen Demokratie gehört die Freiheit des Verbrauchers notwendigerweise dazu. Denn in deren Verfassungskern ist die Freiheit des Individuums gesetzt.
Ludwig Erhard bezeichnete den Verbraucher als den „einzigen Maßstab“ der sozialen Marktwirtschaft. Denn die Wirtschaft sollte keinen anderen Zweck haben, als allen Menschen zu immer besseren und freieren Lebensbedingungen zu verhelfen. Der Konsument ist souverän in seinen freien Akten des Konsums. Im Wirtschaftswunder sollte Wohlstand vor allem durch quantitative Sprünge definiert werden. Die traditionelle bürgerliche Konsumkultur war dagegen stets an qualitativen Verbesserungen interessiert. Ludwig Erhard vertrat eine realpolitische, marktwirtschaftliche Utopie. Er wollte die Bundesbürger erst wieder zu Konsumenten machen und sie nach der Armut der Nachkriegszeit in der Freiheit des Konsums wieder aufrichten. Quelle: „Mündigkeit“ von Ulf Poschardt
Von Hans Klumbies