Viele Menschen sind von einer schleichenden Bitterkeit befallen

Ungefähr ab einem Alter von 50 – eigentlich beginnt es schon im dritten Lebensjahrzehnt – spaltet sich die Menschheit in zwei Charaktertypen, man könnte fast sagen: zwei grundverschiedene Spezies. Matthias Horx erläutert: „Der größte Teil – in schlechten Tagen hat man das Gefühl, es sind 80 Prozent – wird vom Virus schleichender Bitterkeit befallen. Diese Krankheit macht sich äußerlich bemerkbar durch den Tonfall der Klage. Das Jammern und Beschweren. Das Schlechtmachen und ständige Kritisieren. Das Awfulizing.“ Awfulizing, vom englischen „awful“, schlecht, unmöglich, gemein, ist ein Begriff, den man in der Trendforschung zur Illustration eines weit verbreiteten Zeitgefühls benutzt. Awfulizer erkennt man daran, dass sie jeden Satz mit dem Wort „Problem“ beginnen. Dass sie die Umwelt nur noch durch die Brille von Verlusten und Bedrohungen sehen. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

Awfulizen ist eine echte Massenbewegung

Awfulizer kritisieren alles, außer sich selbst. Sich selbst können sie in der Welt – und in der Beziehung zur Welt – nämlich weder spüren noch sehen. Typische Vertreter dieser Spezies lassen sich unentwegt von medialen Gerüchten beeinflussen. Ihre große Liebe gilt Geschichten über schreckliche Entwicklungen „in der Gesellschaft“ oder „der Welt“ im Allgemeinen. Der Hardcore-Awfulizer findet sich im Internet-Troll verkörpert, der sich tagein, tagaus damit beschäftigt, seine negativen Gefühle und Meinungen akribisch anderen mitzuteilen.

Matthias Horx stellt fest: „Aber das ist nur die Speerspitze. Awfulizen ist eine echte Massenbewegung, ein gesellschaftliches Supervirus, das selbst die besten Freunde befällt.“ Awfulizing ist eigentlich kein neues Wort. Der Psychologe Albert Ellis prägte den Begriff in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, um eine „Störung des Denkens“ zu benennen: Menschen, die awfulizen, so Albert Ellis, betrachten eine Situation oder ein Ereignis in übertrieben negativer Weise. Eine kleine Niederlage oder ein kleiner Rückschritt wird zur Katastrophe.

Awfulizer haben das erotische Verhältnis zur Welt verloren

Oder Awfulizer überhöhen ein gefürchtetes Ereignis so sehr, dass sein Eintreten nicht zu ertragen wäre. Awfulizing setzt eine Kettenreaktion sich selbst erfüllender Gedanken, Gefühle und Aktionen in Gang: Die bloße Erwartung, dass die Dinge schlechter werden, wird zur Ursache dafür, dass sie schlechter werden. Diesen Effekt der negativen selbsterfüllenden Prophezeiung kann man überdeutlich bei Paaren beobachten, die sich in der Vorwurfsspirale befinden, sich also gegenseitig awfulizen: Warum hast du nicht? Wie kannst du nur? Wenn du damals nur nicht …

Ohne allzu sehr zu pauschalisieren, kann man behaupten, dass der Awfulizer das erotische Verhältnis zur Welt verloren hat. Matthias Horx ist sich ganz sicher, dass man im Blut von Awfulizern die Liebesdroge Dopamin allenfalls in Restbeständen aufspüren kann. Wer alles schrecklich findet, entliebt sich von der Welt – und von sich selbst. Er liebt vor allem sich selbst nicht mehr und sehnt sich gleichzeitig nach Erlösern. Das kann ein Partner sein, von dem man sich die letztgültige Anerkennung erwartet. Oder ein politischer Führer, der bösartig und korrupt ist. Quelle: „Future Love“ von Matthias Horx

Von Hans Klumbies