Die liberalen Demokratien sind gefährdet

Mit Überzeugung und Selbstgewissheit hat das liberale Establishment den weltweiten Vormarsch des Ultrakapitalismus betrieben. Und dies unbeirrt durch alle Krisen hindurch, konsequent seit den siebziger Jahren. Dieses Unterfangen ist laut Roger de Weck gelungen. Trotzdem mündet es jetzt in ein doppeltes Fiasko: „Sowohl die liberale Wirtschaft als auch die liberale Demokratie sind weniger liberal geworden.“ Die Marktwirtschaft hat sich in eine Machtwirtschaft verwandelt. Zudem rütteln zwei Spielarten des Autoritarismus am Fundament liberaler Demokratien. Erstens die Willkürherrschaft der Reaktionäre. Zweitens die Geldherrschaft von Milliardären, sprich Plutokratie. Der Sieg der Neoliberalen bedrängt den Liberalismus und die Liberalität – eine fatale Erfolgsgeschichte. Im Kapitalismus hatte das Kapital seit je Vorrang vor andern Faktoren der Produktion. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Der Ultrakapitalismus hat das Kommando übernommen

Es bedarf ja des Geldes, der menschlichen Anstrengung und der natürlichen Ressourcen, um ein verkäufliches Gut herzustellen. Die Kapitalgeber waren immer stärker als die Arbeitnehmer und Umweltschützer. Letztere traten erst in den sechziger Jahren überhaupt auf den Plan. Roger de Weck kritisiert: „Noch krasser ist das Ungleichgewicht im heutigen Ultrakapitalismus.“ Warum gerade diese Bezeichnung? Die Übermacht des Kapitals kennt fast keine Schranken mehr.

Der Produktionsfaktor Kapital hat sich mit einem neuen vierten Produktions- und Kontrollfaktor verknüpft – den Daten. „Big Money“ und „Big Data“ stehen im Bunde, das hat die Position des Kapitals ungemein gefestigt. Roger de Weck stellt fest: „Der Geld- und Datengewalt von Riesenkonzernen wissen die Demokratien wenig entgegenzusetzen.“ Den digitalen Ultrakapitalismus prägt ein mehrfaches Machtgefälle. Erstens zwischen den Unternehmen und den Verbrauchern, die laufend ihre Verhaltensmuster, ihre wunden Punkte und sonstige Daten zu ihrer Privatsphäre preisgeben.

Die Macht des Kapitals hat stark zugenommen

Zweitens zwischen den Auftrag- bzw. Arbeitgebern und den prekär Beschäftigten, da sich die digitale Welt für Arbeitsverhältnisse und ausufernde Arbeitszeiten eignet. Drittens schließlich zwischen der raschen Ökonomie und der langsamen Demokratie, weil Gesetzgeber und Regulatoren der rasanten Entwicklung hinterherhinken. Obendrein mehrte die radikalste aller Deregulierungen die Macht des Kapitals. Nämlich der Abbau praktisch aller Kontrollen der weltweiten Kapitalflüsse. Kapital darf seit der neoliberalen Wende frei dorthin fließen, wo es am wenigsten besteuert wird.

Das hat die Nationen zu einem zerstörerischen Wettkampf um noch tiefere Steuersätze verleitet. Bis zu dem Irrwitz, dass das Kapital und die Kapitaleinkünfte vielerorts gar nicht mehr besteuert werden. Für die Demokratien bedeutet das eine doppelte Einbuße: an Steuereinnahmen und an Handlungsspielraum. Das mobile Kapital spielt die Staaten gegeneinander aus. Also haben mehr und mehr Staaten letztlich kapituliert und im Zweifel ihr nationales Recht nach dem Stärkeren ausgerichtet, dem Kapital. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies