Machtmissbrauch gehört nicht zur menschlichen Natur

Von der Liebe abgesehen, gibt es keinen anderen Bereich des sozialen Lebens, der so gründlich erforscht ist wie der Erwerb von Macht, ihr Missbrauch und schließlich ihr Verlust. Die großen Geschichten vom Missbrauch der Macht und dem darauffolgendem Verlust derselben, faszinieren Menschen seit jeher. Die Fixierung auf den Machtverlust könnte einen Menschen zu dem Glauben verleiten, der Missbrauch von Macht sei unvermeidlich. Aber das Macht-Paradox ist viel komplexer. Dacher Keltner erklärt: „Machtmissbrauch ist nicht Teil der menschlichen Natur.“ Macht bedeutet nicht nur die Möglichkeit, andere beeinflussen zu können, sie prägt auch das Selbstbewusstsein. Das Gefühl, über Macht zu verfügen, löst einen Rausch an Erwartungen aus. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

Jeder Mensch spürt die Macht immer wieder im Alltag

Der Besitz von Macht weckt Freude und Vertrauen, er gibt dem Leben Sinn, und man spürt, dass man etwas bewirken kann. Überall in der Welt erfahren die Menschen Macht als eine lebendige Kraft, die ihr Leben bestimmt und leitet. Dacher Keltner erläutert: „Macht ist ein Schuss Dopamin, und diese anfänglichen Gefühle können sich so aufschaukeln, dass wir mit unseren Mitmenschen wie bei einem manischen Schub umgehen.“ Macht spürt jeder Mensch auch immer wieder im Alltag. Oft hat man den Eindruck, an einer Weggabelung zu stehen und die vielleicht wichtigste Entscheidung des Lebens treffen zu müssen.

Der Umgang mit dem Macht-Paradox hängt laut Dacher Keltner davon ab, wie ein Mensch die Balance zwischen der Erfüllung der eigenen Wünsche und dem Fokus auf die anderen findet. Als die sozialsten aller Wesen haben die Menschen einige universelle Praktiken entwickelt, die sich auf ihre Mitmenschen richten, das Gute aus ihnen herauslocken und zum Aufbau starker sozialer Kollektive führen. Wer sich diesen Praktiken mit Umsicht widmet, wird von dem Ansturm des Machtgefühls nicht irregeleitet und zur bloßen Befriedigung der eigenen Bedürfnisse und zum Machtmissbrauch verleitet.

Es gibt vier universelle soziale Praktiken

Er wird stattdessen die tiefe Freude genieße, nachhaltige Veränderungen in der Welt bewirken zu können. Es gibt vier dieser universellen sozialen Praktiken. Erstens Mitgefühl empfinden und sich einfühlen. Zweitens Dankbarkeit zeigen. Drittens sich großzügig geben und viertens Geschichten erzählen, die Einigkeit stiften. All diese vier Verhaltensweisen erfreuen die Mitmenschen. Sie bilden eine Basis für starke Bindungen, die von beiden Seiten gestärkt werden. Auf sie kann man sich verlassen und immer wieder mit ihnen die eigene Macht stärken, indem man andere zu effizienterem Handeln anregt.

Dacher Keltner warnt: „Weichen wir davon ab, uns auf die anderen zu konzentrieren, kann uns das zu selbstsüchtigem und kurzsichtigem Verhalten verleiten.“ Die Gefahr, der Verführung der Macht zu erliegen, besteht für jeden Menschen, in jedem Augenblick. Den Blick für den anderen zu verlieren, kann zu Defiziten der Empathie führen, zum Verlust der Leidenschaft, zu unbesonnenem und unethischem Handeln und zu grobem und unhöflichen Benehmen. Wer sich mächtig fühlt, kann sich zu unethischen Handlungen hinreißen lassen, die auf eine Herabminderung der anderen hinauslaufen. Quelle: „Das Macht-Paradox“ von Dacher Keltner

Von Hans Klumbies