Die scheinbar bedrohten Eliten schotten sich ab

Weltweit haben Sozialwissenschaftler in Studien herausgefunden, dass eine wesentliche Ursache für die Ausbreitung geschlossener Wohnformen das gesellschaftspolitische Klima in einer Region ist. Ernst-Dieter Lantermann erläutert: „Je tiefer die Kluft zwischen Arm und Reich und je engagierter in der Öffentlichkeit diese Spaltung diskutiert wird, umso häufiger werden Gated Communities errichtet.“ Für den Religionswissenschaftler Manfred Rolfes ist es keine Überraschung, wenn ein einem öffentlichen Diskurs, der zum einen Armut als Bedrohung kommuniziert, zum anderen den wachsenden Reichtum einer kleinen Minderheit zum Thema macht, Gated Communities gedeihen, in denen die Begüterten vor den ökonomisch und sozial Benachteiligten geschützt werden müssen. Für den Soziologen Ulrich Vogel-Sokolowsky sind Gated Communities Ausdruck einer wachsenden Polarisierung zwischen Arm und Reich auch in Deutschland. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

Die Reichen haben ein hohes Bedürfnis nach Sicherheit

Die gesellschaftlichen Schichten haben sich in den vergangen vier Jahrzehnten immer weiter entfernt, und diese zunehmende Distanz verursacht bei den Eliten ein Gefühl der Bedrohung, die es in dieser Form aber nicht gibt, wie die Statistik belegt. Ernst-Dieter Lantermann stellt fest: „Die von den begüterten, sicherheitsbedürftigen Bewohnern geschlossener Wohnquartiere erlebten Bedrohungen sind daher zum großen Teil hausgemacht.“ Aber dennoch bestimmen diese Gefühle der vermeintlichen Gefahr deren Verhalten und Erleben in und gegenüber der sozialen Welt auf der anderen Seite des Zaunes, in deren Folge sich ihre Verunsicherungen dann auch noch weiter verstärken.

Ihre freiwillig vollzogene soziale Segregation, ihre scharfen Grenzziehungen, ihre mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit, sich auf einen offenen, neugierigen Dialog mit ihren weniger begüterten Nachbarn einzulassen, entspringen auch ihrem hohen Bedürfnis nach Sicherheit, dass allerdings gerade wegen der hohen Zäune und anderer Sicherheitsgarantien nicht zur Ruhe kommt. Weil sie in ihrem Wohnbereich ein Maximum an gefühlter Sicherheit erfahren, erscheint ihnen die Welt außerhalb der Mauern als eine Ansammlung von Orten permanenter, lauernder Sicherheitsgefährdungen.

Die Reichen verweigern sich jeder Veränderung ihres Weltbildes

Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „Da die begüterten Besitzer geschlossener Wohnkomplexe den Kontakt mit den Menschen jenseits ihrer Sicherheitszonen auf das Nötigste beschränken, verschließen sie sich, gewollt oder ungewollt, immer stärker neuen sozialen Erfahrungen und überraschenden Begegnungen.“ Sie kapseln sich in ihrer mentalen Welt genauso wie in ihrer materiellen Welt von allen unliebsamen Überraschungen ab, in dem sie sich ängstlich oder selbstgewiss jeder Veränderung ihres Welt- und Selbstbildes verweigern.

Ihre freiwillige Segregation vom Ganzen der Gesellschaft lässt sie immer rigider, ängstlicher, intoleranter und verschlossener gegenüber Menschen jenseits der Grenze werden. Es sei, so der Kulturgeograf Georg Glasze, daher zu erwarten, dass eine Zunahme dieser Wohnform Kontakte über soziale Grenzen hinweg immer weiter reduziere und damit nicht nur Ausdruck und Folge einer Entsolidarisierung der Wohlhabenden mit den Armen und weniger Begüterten sei, sondern dieser auch weiter Vorschub leiste. Quelle: „Die radikalisierte Gesellschaft“ von Ernst-Dieter Lantermann

Von Hans Klumbies