Die Scharia führt den gläubigen Moslem durchs Leben

Der Begriff Scharia gilt frommen Muslimen als positive Richtschnur für ihr gesamtes Leben, während er außerhalb der islamischen Welt negativ besetzt ist und mit Strafen wie Auspeitschen, dem Abhacken von Händen oder Steinigung in Verbindung gebracht wird. Für den gläubigen Muslim ist die Scharia die allein maßgebliche Norm, die an jedem Ort und zu jeder Zeit gültig ist. Sie ist das Regelwerk, das Hilfestellungen gibt, damit sich unsichere Gläubige in allen Situationen des Lebens richtig verhalten. Denn nur die Erfüllung der Normen der Scharia eröffnet den Weg zum ewigen Heil.

Die fünf Säulen des Islam

Das System der Scharia ist aufgeteilt in die „Fünf Säulen des Islam“, die die kultischen Pflichten gegenüber Gott regeln und in die rechtlichen Bestimmungen wie moralischen Vorschriften, die ein gerechtes und den Sitten entsprechendes Verhalten der Gläubigen untereinander sichern soll. Die Scharia gibt auch darüber Auskunft, ob und unter welchen Bedingungen der kämpferische Dschihad angewendet werden muss und welche völkerrechtlichen Verträge gutgeheißen werden können.

Über die Fatwa regelt die Scharia angemessene Verhaltensweisen gegenüber dem Islam und gibt Halt und Gewissheit in allen Fragen, welche Handlungen Gott wohlgefällig sind. Die Scharia hat heute in den meisten islamischen Ländern noch starken Einfluss auf die Gesetzgebung, vor allem wenn es sich dabei um das Familienrecht, des Strafrecht, das Erbrecht, das Prozessrecht oder um Rechtsfragen handelt, die die Gleichberechtigung der Frau zum Thema haben.

Die Fatwa ist kein Todesurteil, sondern ein religiöses Gutachten

Die Gesetze der Länder, in denen nicht der Islam herrscht, sind zwar zu achten, aber nur solange, wie sie nicht der Scharia entsprechen. Sobald die Muslime eine Mehrheit in einem Staat bilden, haben sie die Verpflichtung die Scharia durchzusetzen. Eine Fatwa ist kein Todesurteil, sondern ein autoritatives religiöses Gutachten, das nach bestimmten Kriterien bewertet, ob eine Handlung verpflichtend, Gott wohlgefällig oder verwerflich ist.

Hervorzuheben ist, dass Fatwas rechtlich nicht bindend sind. Weil es keine absolute Lehrautorität gibt, kann sogar der Fall eintreten, dass mehrere, sogar gegensätzliche Fatwas nebeneinander existieren. Das religiöse Gutachten ist also ein Instrument, mit dem anhand von Bewertungskriterien festgestellt wird, ob eine Handlung oder eine Entscheidung der Scharia entspricht und nicht etwa eine unzulässige Neuerung oder sogar eine Häresie ist.

Die Ausbildung der Ayatollahs und Muftis

Die Fatwa ist das wichtigste Instrument, um den Islam durch religiöse Gutachten zu konkreten Fragestellungen den Gegebenheiten und Bedürfnissen der Gegenwart anzugleichen. Im Islam sind mit den Ämtern der Mufti hierarchisch strukturierte Hierarchien vorhanden, die für die Klärung von Glaubensfragen zuständig sind.

Es sind Ayatollahs oder Muftis, die bei den Schiiten die Fatwa-Kompetenz besitzen. Sie sind in Theologie und islamischer Rechtskunde ausgebildet und verfügen über umfassende Kenntnisse in einer oder mehrerer der vier sunnitischen Rechtsschulen oder als Schiiten in der dschafaritischen Rechtsschule. Der Großmufti oder Landesmufti steht heute in vielen Ländern im Dienst der jeweiligen Regierung und ist sogar weisungsgebunden.

Von Hans Klumbies