Für Verhaltensveränderungen benötigt man einen Angelpunkt

Gewohnheiten sind laut Clemens Sedmak vertraute Begleiter auf dem persönlichen Lebensweg – sie sind wie ein Flussbett, in dem der Lebensstrom dahinfließt – Gewohnheiten sind Rückgrat und Halteleine. Clemens Sedmak sieht aber durchaus auch die negativen Seiten von Gewohnheiten: „Und gerade weil sie Halt geben und zur zweiten Natur werden, können Gewohnheiten auch versteinern und zu verfestigten Lebensmustern werden, aus denen wir nicht mehr auszubrechen vermögen; unmerklich nehmen sie von unserem Leben Besitz.“ Die englische Schriftstellerin Elizabeth Gaskell (1810 – 1865) hat Gewohnheiten mit Ketten verglichen, die sich im frühen häuslichen Alltag herausbilden, ohne dass sich ein Kind dagegen wehren kann. Man wird, so die Idee, in einen Haushalt mit seinem Rhythmus hineingeboren, in dem sich Tag für Tag Abläufe wiederholen. Der österreichische Philosoph Clemens Sedmak hat unter anderem eine Professur am Londoner King´s College inne.

Die Wiederholung entlastet oder wird zum Käfig

Die Prozesse der Gewöhnung sind tatsächlich schleichend. Hier gibt es nicht den Punkt, an dem eindeutig feststeht: Jetzt hat man sich daran gewöhnt. Clemens Sedmak erläutert: „Doch es geschieht; wir denken schließlich über das, was wir tun, oftmals gar nicht groß nach, denn die meiste Zeit tun wir das, was wir die meiste Zeit tun.“ Die Wiederholung entlastet also, kann aber auch zum Käfig werden. Selbst Burn-out hat mit der Erfahrung „Es ist immer dasselbe“ zu tun. Wiederholungen treten auf viele verschiedenen Weisen in das menschliche Leben.

Wem die Wiederholung in seinem Leben den letzten Nerv töten, für den ist es entscheidend, einen Angelpunkt zu finden – einen Punkt, an dem eine Veränderung ansetzen, an dem der sogenannte Murmeltiereffekt durchbrochen werden kann. An dem man den Vorsatz fasst, sich etwas abzugewöhnen oder sich etwa anzugewöhnen. Clemens Sedmak fügt hinzu: „Das ist schließlich der Clou von Neujahrsvorsätzen oder dem Entschluss: Du sollst dein Leben ändern. Aber an welchem Punkt?

Ein Orientierungspunkt ist die Vorstellung gelingenden Lebens

Schon Johannes Cassian, der im 4. und 5. Jahrhundert nach Christus in Palästina und Ägypten lebte, hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt. Er kam zum Schluss, dass es eigentlich nicht von Belang ist, an welchem Punkt man eine Veränderung von Lebensgewohnheiten beginnt, da sämtliche gewohnheitsmäßigen Fehlhaltungen der Seele miteinander zusammenhängen. Solange der moralische Kompass stimmt, also klar ist, an welchen Werten man sich orientieren will, ist die Wahl des ersten Schrittes zweitrangig.

Die Frage nach dem Angelpunkt wird zweitrangig, wenn die Richtung klar ist, der Orientierungspunkt. Clemens Sedmak erklärt: „Den Orientierungspunkt kann man entweder in einer Vorstellung gelingenden Lebens ansetzen oder negativ in Vorstellungen von „höllischen Lebensformen“, die es unbedingt zu meiden gilt.“ Hilfreiche Hinweise liefern religiöse und spirituelle Traditionen – Freiheit als Überwindung von Abhängigkeiten beispielsweise. Auf diese Weise kann man Orientierungspunkte gewinnen, einen Sinn für die Richtung, in die die Lebensveränderung gehen soll. Quelle: „Jeder Tag hat viele Leben“ von Clemens Sedmak

Von Hans Klumbies