Jeder vierte Deutsche zählt zu den Geringverdienern

In Deutschland gilt jedes vierte Beschäftigungsverhältnis als prekär, also gering bezahl und unsicher. Betroffen sind vor allem Menschen mit Teilzeit-, Minijobs oder Kettenverträgen, also als atypisch bezeichneter Beschäftigungsverhältnisse. Auch manche gut ausgebildete müssen solche Arbeitsbedingungen hinnehmen. Caspar Dohmen stellt fest: „Beim Vergleich von 17 EU-Ländern wies nur Litauen einen höheren an Geringverdienern auf als Deutschland.“ Weitsichtig war die Prognose des Soziologen Ulrich Beck in den 90er-Jahren, der von dem „Risikoregime“ der Arbeit sprach, das zu einer Auflösung aller „Basisselbstverständlichkeiten im Zentrum der Erwerbsgesellschaft“ führen würde. Viele Menschen erleben das heutzutage hautnah. Viele wissen nicht mehr, ob und wie sie auf ihrem Job oder ihrer Qualifikation eine Zukunft aufbauen können. Jeder ist ein potentieller Arbeitsloser. Der Wirtschaftsjournalist, Buchautor und Dozent Caspar Dohmen studierte Volkswirtschaft und Politik in Köln.

Arbeiten bis zum Umfallen ist längst kein exotisches Phänomen mehr

Heutzutage muss die Arbeit immer schneller und mit weniger Personal erledigt werden, immer enger werden die Produktivitätsschrauben angezogen. Caspar Dohmen kritisiert: „Das halten sogar kerngesunde Beschäftigte irgendwann nicht mehr aus.“ Arbeiten bis zum Umfallen ist längst kein exotisches Phänomen mehr. Und manche Beschäftigte nehmen sich aus lauter Verzweiflung sogar das Leben. In Deutschland warnen Krankenkassen und Gewerkschaften vor den Folgen des steigenden Arbeitsdrucks.

So verzeichnen Krankenkassen einen Anstieg psychosozialer Belastungen bei Beschäftigten in einem alarmierenden Ausmaß. Zeitdruck, Störungen des Arbeitsablaufs und ein eingeschränkter Spielraum bei Entscheidungen seien wesentliche Faktoren, die psychische Erkrankungen wie Depressionen begünstigen. Innerhalb von einer Generation haben sich die Fehlzeiten am Arbeitsplatz wegen psychischer Erkrankungen, von knapp einem halben Tag im Jahr 1976 auf 2,6 Fehltage im Jahr 2013 verfünffacht. Eine wesentliche Ursache sind Erschöpfungsdepressionen, besser bekannt als Burn-out.

Vierzig Prozent der Hartz-IV-Empfänger sind psychisch krank

Caspar Dohmen erklärt: „Darunter leiden, anders als das öffentliche Bild vermuten lässt, übrigens keinesfalls Topmanager besonders häufig, sondern gewöhnliche Beschäftigte, vor allem Callcenter-Agenten und Altenpfleger.“ Das größte Risiko besteht allerdings bei denjenigen, die ihren Job verlieren. Bis zu vierzig Prozent der Hartz-IV-Empfänger sind psychisch krank. Fatalerweise haben viele Menschen die Ideologie des immerwährenden Wettbewerbs dermaßen verinnerlicht, dass sie sich allein die Schuld am Verlust ihres Arbeitsplatzes geben und nicht die Verhältnisse dafür verantwortlich machen.

Caspar Dohmen ist sicher, dass der Druck auf die Beschäftigten durch den Vormarsch der Algorithmen und Roboter weiter steigen wird. Dazu kommen eine immer stärkere Globalisierung und die steigende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Manchmal hat man den Eindruck, es drehe sich heute alles um die Arbeit. Früher war das anders: Frühere Generationen assoziierten mit Arbeit Mühsal und Strapazen und keinesfalls Wertschätzung. Die Einstellung zur Arbeit änderte sich in Europa erst gravierend im 17. Jahrhundert, während der Aufklärung und Reformation. Quelle: „Profitgier ohne Grenzen“ von Caspar Dohmen

Von Hans Klumbies