Angelo Bolaffi hält in seinem neuen Buch „Deutsches Herz. Das Modell Deutschland, Italien und die europäische Krise“ den Italienern einige Dinge vor, die uneingeschränkt auch für die Griechen oder Spanier gelten. Er schreibt: „Mit den Eintritt in den Euro haben sie Modernisierungschancen und -pflichten erhalten, die sie nicht ausgefüllt haben.“ Den Deutschen die Schuld für die Krise in Italien, Griechenland oder Spanien den zu geben, ist für Angelo Bolaffi nur lächerlich. Allein vom Friedensprojekt Europa zu sprechen ist für den Deutschlandkenner zu wenig, denn mit dem Ende des Kalten Krieges und der damit einhergehenden Globalisierung ist für Europa längst ein anderes Ziel an die erste Stelle gerückt: nicht der Frieden im Inneren allein, sondern die Selbstbehauptung in der Welt. Angelo Bolaffi zählt seit einem Vierteljahrhundert zu den besten Deutschlandkennern Italiens. Er leitete von 2007 bis 2011 das Italienische Kulturinstitut in Berlin.
Berlin ist die Welthauptstadt der Zweiten Moderne einer postindustriellen Zivilgesellschaft
Die von vielen beklagte Stärke Deutschlands stört Angelo Bolaffi nicht im Geringsten. Eine deutsche Hegemonie in Europa hält er nicht nur für unvermeidlich, sondern sogar für wünschenswert. Angelo Bolaffi schreibt: „Deutschland ist nicht nur stark und deshalb zwangsläufig Hauptakteur Europas, sondern es ist auch gut, dass es so ist.“ Leidenschaftlich präsentiert der Autor den Italienern die Vorzüge des deutschen Modells, das seiner Meinung nach nicht nur im ökonomischen Erfolg besteht, sondern auch in beispielslosen Leistungen in den Bereichen Soziales, Rechtstaat und Kultur.
Hervorgehoben wird von Angelo Bolaffi auch die moralische Umkehr Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, seine Entdeutschung, die betriebliche Mitbestimmung und die nach Konsens strebenden Konfliktlösungsformen der Sozialpartner. Außerdem lobt Angelo Bolaffi die Integrationspolitik in Deutschland, die auf eine aktive Anerkennung zwischen Migranten und der Mehrheitsgesellschaft zielt. Berlin bezeichnet er sogar als die „Welthauptstadt der Zweiten Moderne“ einer postindustriellen Zivilgesellschaft.
Deutschland ist die derzeit einzig denkbare Führungsmacht Europas
Angelo Bolaffi ist voll des Lobs für Deutschland: „Dieses beispielhaft moderne, zivile, selbstreflexive, kreative, ökonomisch besonnene, durch und durch demokratische, in Berlin sogar wilde und junge Land ist die derzeit einzig denkbare Führungsmacht Europas.“ Der Begriff der Hegemonie hat sich laut Angelo Bolaffi im Laufe der Zeit gewandelt: er steckt seiner Meinung nach im Vergleich zu früher voller sogenannter soft power, der unwiderstehlichen Kraft eines überlegenen Gesellschaftsmodells.
Deutschland hat laut Angelo Bolaffi Europa mehr anzubieten als schmallippige Regeltreue und bittere Haushaltskonsolidierung. Nämlich einen attraktiven Lebensstil, der sich aus postnationaler Lässigkeit und sozialer Verlässlichkeit zusammensetzt. Angelo Bolaffi hat sein Buch sicherlich aus einem Reflex heraus auf die italienische Krise geschrieben, aber er versteht sein Werk auch als positiven Appell: einer Erneuerung der getrübten Kulturfreundschaft zwischen Deutschland und Italien.
Von Hans Klumbies