Andreas Reckwitz unterscheidet deutlich zwischen Daten, Informationen und Kulturformaten. Allen drei begegnet er in den digitalen Medien. Als Daten lassen sich Systeme von Unterscheidungen begreifen. Diese kommen innerhalb maschineller Prozesse – Binärcodes, Algorithmen – vor und wirken damit unabhängig vom Wissen der Menschen. Anders als die Daten bilden Informationen und Kulturformate Sinnzusammenhänge, mit denen menschliche Subjekte hantieren. Während die Information jedoch eine instrumentelle Funktion hat, haben die Kulturformate aus Sicht der Teilnehmer schon für sich genommen einen Wert. Informationen haben den Status des Kognitiven. Sie sind nützliches Wissen, um bestimmte Zwecke zu erreichen. Kulturformate sind stattdessen für die Teilnehmer intrinsisch motiviert, gerade indem sie sie beeinflussen beziehungsweise erregen. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.
Das Internet ist zu erheblichen Teilen eine Affektmaschine
Kulturformate haben eine narrative, ästhetische, ludische, gestalterische oder ethische Qualität. Die Grenze zwischen Information und Kultur ist nicht immer leicht zu ziehen. Das liegt daran, dass Texte und Bilder sowohl als Träger von Informationen wie auch von Kulturformaten in Frage kommen. Trotzdem lässt sich die Differenz häufig bestimmen. Ein entscheidendes Indiz für den Kulturcharakter von Texten und Bildern besteht darin, dass sie mit Affekten aufgeladen sind. Wohingegen Informationen prinzipiell „sachlich“ und affektarm sind.
Das Internet ist laut Andreas Reckwitz zu erheblichen Teilen eine Affektmaschine. Seine zirkulierenden Bestandteile erregen, unterhalten, stimmen freudig, entspannen, hetzen auf oder bewirken, dass man sich angenehm aufgehoben fühlt. Die digitalen Objekte haben jedoch zu großen Teilen keinen bloß kognitiven Charakter, sondern einen narrativen, ästhetischen, gestalterischen oder ludischen. Dies gilt für Bilder und Filme, für Texte, für Klänge und Töne sowie für Spiele.
Die digitale Kultur ist eine Kultur der Visualität
Bilder, vor allem in Form von Fotografien und Videos, sind ein primärer medialer Träger, der im Internet kreiert, dort zirkuliert und betrachtet wird. Andreas Reckwitz erklärt: „Die digitale Kultur ist in erheblichen Maße eine Kultur der Visualität.“ Man sieht das nicht nur an Plattformen wie YouTube und Instagram, sondern auch daran, dass andere soziale Medien, zum Beispiel Facebook und Twitter, mehr und mehr auf Bilder umgestellt haben. Bilder dominieren die Nachrichten aus Politik, Sport und Unterhaltung.
Pornografische Darstellungen werden im Internet in großer Zahl präsentiert. In diesem Zusammenhang nennt Andreas Reckwitz auch das Streaming von Fernsehsendungen und Filmen. Diese Bilder haben nur sekundär einen Informations-, primär hingegen einen Affektcharakter, das heißt eine ästhetische oder narrative Form. Insbesondere der Einfluss der Digitalfotografie auf die Ästhetisierung der Netzkultur ist massiv. Die allgegenwärtige Kamera transformiert den ganz normalen Alltag in „Szenen“. Diese scheinen um ihrer selbst willen und auch außerhalb ihres Entstehungskontextes betrachtenswert zu sein. Quelle: „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz
Von Hans Klumbies