Bei Immanuel Kant muss die Metaphysik der kritischen Analyse der Erkenntnis weichen. Ger Groot erläutert: „Es ist das menschliche Erkenntnisvermögen, das die Welt zu dem macht, was sie ist.“ „Die Metaphysik der Sitten“ besagt daher nichts anderes, als dass die Voraussetzungen des moralischen Lebens in der menschlichen Konstitution gefunden werden müssen. Damit glaubt Immanuel Kant, eine Lösung für die widersprüchliche Art und Weise gefunden zu haben, in der sich die Menschen selbst als menschliche Wesen sehen. Anders als bei René Descartes gibt es bei ihm nur eine Wirklichkeit und eine Materie. Aber darin erscheint das vernünftige Wesen, das der Mensch ist, unter zwei Standpunkten. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.
Der Mensch frei und nicht kausal bestimmt ist
Einerseits kann sich der Mensch selbst betrachten, andererseits kann er die Gesetzte des Gebrauchs seiner Kräfte erkennen. Damit kann er alle seine Handlungen nachvollziehen. Ger Groot erklärt: „In unserer Wahrnehmung sehen wir uns selbst als materielle Körper.“ Also steht der Mensch, sofern er zur Sinnenwelt gehört, unter den Naturgesetzen. Aber in seinem Selbstbewusstsein, das nicht über seine sinnliche Wahrnehmung zugänglich ist, bekommt er einen Begriff von der Wirklichkeit.
Diese Realität ist den Kategorien der Wahrnehmung, und daher auch dem Diktat der Kausalität, unter dem jede echte Wahrnehmung steht, enthoben. Darin begegnet man sich selbst als wahrhaft menschliches und daher auch freies Wesen. Der Mensch frei und nicht kausal bestimmt ist. Das bedeutet allerdings ganz und gar nicht, dass er keine Gesetze kennt und der reinen Willkür ausgeliefert ist. Ganz im Gegenteil. Will der Mensch wirklich frei sei, muss er sich aus der Natürlichkeit befreien. Denn diese hält ihn im Stand eines kausal bedingten Wesens gefangen.
Willkürliche Freiheit ist Unfreiheit
Ger Groot stellt fest: „Wenn ich mich in meiner Freiheit davon leiten lassen würde, was mir meine Launen eingeben, ließe ich mich eigentlich von meinen natürlichen Neigungen leiten.“ Willkürliche Freiheit ist also Unfreiheit. Sie leugnet die eigene Perspektive, durch die der Mensch eine so herausgehobene Position einnimmt. Dadurch fällt sie in eine Maschinerie zurück, die nun gerade für die tierische Existenz charakteristisch ist. Denn die spezifischen Gesetze der Freiheit sind natürlich von ganz anderer Art als jene der Natur.
Es sind die moralischen Gesetze, die der menschlichen Freiheit Struktur verleihen und dafür sorgen, dass diese Freiheit auch tatsächlich Freiheit bleibt. Es besteht also eine paradoxe Situation. Freiheit besteht nur, wenn sich Menschen an die Gesetze der Moral und an Pflichten halten. Tun sie das nicht, lassen sie sich von ihren Neigungen überwältigen. Diese sind nur der Ruf ihres physischen Körpers und daher implizit das Gegenteil von Freiheit. Quelle: „Und überall Philosophie“ von Ger Groot
Von Hans Klumbies