Die ungarische Philosophin Agnes Heller, die zu den bedeutendsten Philosophinnen des 20. und 21. Jahrhunderts zählt, konnte man zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens zu etwas zwingen. Auch wenn sie schlechte Dinge getan hat, hat sie sie freiwillig getan. Gerne zitiert sie ihren Lehrer, den Philosophen Georg Lukács, der immer gesagt hat: „Unglück trifft jeden, aber ein gescheiter Mensch kann daraus Nutzen ziehen.“ Der Nationalsozialismus war für Agnes Heller allerdings kein Unglück, sondern die Hölle. Die Jahre von 1949 bis 1953 in Ungarn waren für die Philosophin zwar ein Unglück, aber auch die Zeit in der ihre Tochter geboren wurde. Agnes Heller erklärt. „Nicht ist nur schwarz oder weiß, alles ist schwarz mit weißen oder weiß mit schwarzen Punkten. Es gibt keinen Gewinn ohne Verlust. Und keinen Verlust ohne Gewinn.“
Agnes Heller hat ihr Leben lang gegen Unterdrückung jeglicher Art protestiert
Heute können laut Agnes Heller vor allem die jungen Menschen aus der Mittelklasse relativ frei aufwachsen, dafür sind sie ziemlich neurotisch. Wer dagegen den Holocaust überlebt hat, ist nicht neurotisch. Der Sinn des Lebens ist für die Philosophin das Leben: „Wir sind in die Welt geworfen, es gibt keine alternative Geschichte.“ Agnes Heller stört es nicht, als Außenseiterin betrachtet zu werden. Denn solange sie im Einklang mit ihrem Charakter handelt, fühlt es sich für sie richtig an. Wer anfängt, sich selbst zu belügen, wird notwendigerweise unglücklich.
Agnes Heller vertritt die Ansicht, dass Menschen entsprechend ihrem Charakter handeln müssen, auch wenn am Ende eine Niederlage dabei herauskommt. Denn die Alternative wäre noch eine größere Niederlage. Ihr ganzes Leben lang hat Agnes Heller, die 1929 in Budapest geboren wurde, gegen Unterdrückung protestiert, egal ob sie von einem Mann, einer Frau oder einer Partei ausging. Um ihr eigenes philosophisches Leben zu retten, hat sie sich nie angepasst. Als Philosoph kann man sich keinem totalitären System anpassen, das die eigene Biografie zu stark in das Denken und die Arbeit einfließt.
Schreiben ist für Anges Heller eine erotische Angelegenheit
Die Frauenbewegung ist für Agnes Heller die bisher größte Revolution der Menschheit. Und im Gegensatz zu allen anderen Revolutionen wird sie ihrer Meinung nach eines Tages vollendet sein. Ein Leben ohne Schreiben kann sich die Philosophin nicht vorstellen, weil Schreiben für sie eine erotische Angelegenheit ist. Sie erklärt: „Schreiben, Nachdenken, Sprechen, das ist mein Leben.“ Ihre letzten Vorträge handelten von Vorurteilen, von Empathie, vom Wesen der Revolutionen und von der Frauenbewegung.
Agnes Heller will nicht immer über die gleichen Sachen nachdenken, da es dann langweilig wird. Zudem führt dies dazu, dass man auch selbst langweilig wird. Wunderbar und präzise nachdenken kann sie beim Schwimmen. Teilweise formuliert sie dabei in ihrem Kopf ganze Passagen ihrer Essays. Agnes Heller erläutert: „Wenn der Körper etwas Mechanisches macht, funktioniert der Geist am besten.“ Am meisten unter allen Philosophen hat sie Georg Lukács beeindruckt, bei dem sie promoviert hat und dessen Assistentin sie war. Er war ihr Leuchtturm, ein Mensch gewordener Logos. Quelle: Süddeutsche Zeitung Magazin
Von Hans Klumbies