Tomáš Sedláček erwartet keine Veränderungen im Finanzsystem

Tomáš Sedláček ist als Banker ein Teil der dominierenden Machtstrukturen der Finanzmärkte. Auf die Frage, ob man dieses System eher von innen oder von außen verändern könne, antwortet der Ökonom, dass es besser sei als Kritiker innerhalb des Systems zu leben. Tomáš Sedláček erklärt: „Meine Kritik zielt in erster Linie auf mich selbst, sodann auf die Institutionen, für die ich arbeite, und schließlich auf unsere Zivilisation und ihre Werte.“ Veränderungen am Finanzsystem sind seiner Meinung nach schwierig, weil die Geschichte lehrt, dass grundsätzliche Veränderungen dessen, woran die Menschen glaubten, jedes Mal zum Problem wurden. Den Glauben an etwas aufzugeben, ist extrem schwer, wobei die Ökonomie ein Glaube ist wie jeder andere. Tomáš Sedláček lehrt an der Karls-Universität in Prag, ist Chefökonom der größten tschechischen Bank und Mitglied des Prager Nationalen Wirtschaftsrats.

Die Menschen können nicht ohne Mythen und Glauben existieren

Tomáš Sedláček vertritt die These, dass es eine der größten Unzulänglichkeiten der Gegenwart ist, dass es irgendetwas gäbe, das nicht auf einem Glauben beruhen würde. Es gibt seiner Meinung nach nichts, das völlig real, wahrhaft, absolut neutral und wissenschaftlich ist. Alles muss mit einem Glauben in Verbindung gebracht werden. Tomáš Sedláček fügt hinzu: „Jeder Glaube, zu dem wir uns bekennen, also auch der Glaube an die Ökonomie, stützt sich auf Mythen. Wir kommen nicht ohne Mythen aus.“

Alles was die Menschen laut Tomáš Sedláček tun können, ist, einen Mythos gegen einen anderen auszutauschen. Es ist für ihn völlig unmöglich, ohne Mythen und ohne Glauben zu leben. Die meisten Ökonomen glauben, dass die Menschen rational sind. Manche versteigen sich sogar in die Illusion, die Zukunft mithilfe mathematischer Formeln beschreiben zu können. Somit glauben sie an die Möglichkeit, das Unerwartete erwarten zu können. Allein durch gesunden Menschenverstand lässt sich erkennen, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Durch Schulden angeschobenes Wachstum führt zum Zusammenbruch

Für Tomáš Sedláček war die Finanzkrise noch nicht hart genug, um grundlegende Veränderungen im Finanzsystem hervorzubringen. Seiner Meinung nach befindet sich das Finanzsystem in Europa und Amerika immer noch in einem Zustand, indem sich die Banker und Politiker nicht gezwungen sehen, gravierende Verbesserungen vorzunehmen. Vor allem die Überzeugung, dass Wachstum etwas völlig Normales sei, dass ein Wirtschaftssystem irgendwann von sich aus wächst, findet Tomáš Sedláček geradezu lächerlich.

Da die Ökonomie normalerweise vom Gleichgewicht ausgeht, fragt sich Tomáš Sedláček woher dieser Glaube kommt, dass Wachstum etwas völlig Normales sei. Er weist darauf hin, dass sich die klassischen Ökonomen sich für das Wachstum nicht allzu sehr interessiert haben. Heute sieht Tomáš Sedláček das größte Problem darin, dass es nicht gelingt, das Wachstum von der Verschuldung zu trennen. Tomáš Sedláček erläutert: „Das mithilfe von Schulden angeschobene Wachstum war eine der Ursachen des jüngsten Zusammenbruchs.“

Von Hans Klumbies