Forscher bezweifeln die Freiheit des menschlichen Willens

Seit einigen Jahren erhitzt eine auch in Deutschland zwischen einigen Neuronenwissenschaftlern und Philosophen heftig geführte Debatte die Gemüter. Unter anderem geht es um die Frage, ob der menschliche Wille wirklich frei ist. Einige neuere Befunde aus der Hirnforschung schienen eine Zeitlang nahezulegen, dass selbst Entscheidungen, die man bewusst fällt und die dann das Handeln bestimmen, bereits unbewusst im Gehirn vorbereitet werden. Markus Gabriel ergänzt: „Es sieht so aus, als ob unsere Entscheidungen damit nicht in unserer Hand lägen. Hierher rührt die Idee, unser Gehirn könnte uns steuern.“ Diese Debatte ist nicht neu. Sie wurde vorwiegend schon im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert geführt. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Viele Einflussfaktoren beeinflussen die persönlichen Entscheidungen

Damals kam der Verdacht auf, der menschliche Wille sei dadurch festgelegt oder determiniert, weil der Mensch zum Tierreich gehört, obwohl er ein geistiges Lebewesen ist. Damals war es der Darwinismus, die entstehende Soziologie, die Psychologie und ebenfalls schon die Hirnforschung, denen man Indizien dafür entnahm, dass der Mensch eigentlich keinen freien Willen hat. In der Tat ist bekannt, dass es viele Einflussfaktoren darauf gibt, welche Entscheidungen man trifft und welche Persönlichkeit man ausbildet.

Markus Gabriel erklärt: „Wir kommen mit Präferenzen zur Welt, die teilweise genetisch bedingt sind, und wir bilden im Laufe unseres Lebens weitere Präferenzen im Umgang mit anderen Menschen und Autoritäten aus, ohne dass wir uns dabei der Auswahlmechanismen bewusst wären, die am Ende in Verhaltensmustern resultieren.“ Es ist außerdem eine Tatsache, dass viele als bewusst erlebte Entscheidungen unbewusst auf neuronaler Ebene vorbereitet werden. Viele Vorgänge der Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung müssen unterhalb der Schwelle der Aufmerksamkeit stattfinden.

Die Handlungsfreiheit der Menschen ist eingeschränkt

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman weist in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ nach, wie wichtig es für den Menschen als geistiges Lebewesen ist, dass er so schnell denken kann, dass er Entscheidungen trifft, ohne sich aufwendigen Überlegungen hinzugeben. Der Philosoph Hubert Dreyfus hat das Dreyfus-Modell des Fähigkeitserwerbs entwickelt, in dem er darauf hinweist, dass wirkliche Expertise sich von bloßer Kompetenz dadurch unterscheidet, dass ein Experte geradezu direkt sieht, welche Handlung in einer gegebenen Situation zu erfolgen hat.

Fest steht für Markus Gabriel allenfalls, dass es natürliche Bedingungen dafür gibt, wie Menschen überhaupt handeln können, und sie einige dieser Bedingungen auch nicht ändern können. Die Handlungsfreiheit eines Menschen ist natürlich auch dadurch eingeschränkt, dass er nicht immer tun kann, was er gerade will. Viele Menschen halten sich für frei, weil sie nicht wissen, was genau sie alles determiniert. Baruch de Spinoza war der gleichen Meinung: „Freiheit ist das Bewusstsein unserer Handlungen ohne das Bewusstsein der Bestimmungsgründe unserer Handlungen.“ Quelle: „Ich ist nicht Gehirn“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies