Der Kern der Selbststeuerung eines Menschen ist die Freiheit

Der Kern der Selbststeuerung eines Menschen ist die Freiheit. Ihre Einengung durch äußere oder innere Zwänge ist ein dem freien Willen entgegengesetztes Vorhaben. Joachim Bauer erklärt: „In einer Welt, deren Freiheitsgrade ohnehin abnehmen, stoßen Moralapostel, die dem Fundus schon vorhandener Regeln noch ihre eigenen hinzufügen wollen, auf keine Sympathie.“ Joachim Bauer findet es wunderbar, in einem freien Land wie Deutschland zu leben, in dem es jedem selbst überlassen bleibt, nach seiner Fasson selig zu werden. Die Gene eines Menschen steuern nicht nur, sie werden auch gesteuert. Gene sind nicht „egoistisch“, sondern Kooperatoren und Kommunikatoren. Sie stehen in einem ständigen molekularen Dialog mit Signalen, die ihnen aus ihrer Umgebung entgegenkommen. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer lehrt an der Universität Freiburg.

Überforderung schwächt das Immunsystem

Alles, was Menschen tun oder erleben, hat die Aktivierung – oder auch die Inaktivierung – bestimmter Gene zur Folge. Joachim Bauer erläutert: „Zu den neben der Nahrung stärksten Genaktivatoren zählen seelische Erlebniseindrücke, die sich im Zusammenhang mit zwischenmenschlichen und sozialen Erfahrungen ergeben.“ Geistige Anregungen oder Herausforderungen, welche die Bewältigungsmöglichkeiten des Organismus nicht überfordern, aktivieren Gene von Faktoren des Nervenwachstums, die im Gehirn nicht nur das Wachstum und die Vermehrung von Nervenzellen veranlassen können, sondern auch die Vermehrung der sogenannten Synapsen, also der Kontaktstellen zwischen Nervenzellen.

Kinder, die anregende, unterstützende Bezugspersonen in ihrem Umfeld haben und sich kreativ entfalten können, zeigen eine objektiv messbar bessere Entwicklung ihres Gehirns als Kinder, die hier einen Mangel erleben. Der Zusammenhang zwischen dem sozialen Umfeld und der Mikroarchitektur des Gehirns bleibt auch im Erwachsenenalter erhalten. Aber klar ist auch: „Längere Zeit anhaltende Überforderung, denen wir auch bei Aufbietung aller Kräfte nur mit Mühe oder gar nicht gewachsen sind, haben Genaktivierungen zur Folge, die das Immunsystem schwächen und dem Gehirn sowie der allgemeinen körperlichen Gesundheit abträglich sind.“

Stress ist nicht immer schlecht

Im Zentrum solcher Negativreaktionen steht ein Stressgen. Alles, was einen Menschen stark beansprucht, Angst macht oder überfordert, wird wenige Sekunden nachdem das Gehirn die Situation wahrgenommen hat, mit einer Aktivierung dieses Stressgens beantwortet. Dabei ist Stress nicht immer schlecht, im Gegenteil, es bereichert das Leben und motiviert, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern. Entscheidend dafür, dass Stress einem Menschen gut tut, ist, dass er ihm am Ende gewachsen bleibt.

Sobald das Gehirn erkennt, dass eine schwierige Situation bewältigt worden ist, wird ein Antistressgen aktiviert, welches das Stressgen wieder zur Ruhe bringt. Joachim Bauer weiß: „Menschen, die in der Frühphase des Lebens einem starken Mangel an Fürsorge ausgesetzt waren, können dieses Antistressgen schlechter als andere aktivieren und sind bei Stress im späteren Leben daher jedes Mal einer viel stärkeren Belastung ausgesetzt als andere.“ Gute spätere Erfahrungen, sei es im Beziehungsleben oder aufgrund einer Psychotherapie, können derartige Störungen der Genregulation – zumindest teilweise – reparieren. Quelle: „Selbststeuerung“ von Joachim Bauer

Von Hans Klumbies