Literaturkritiker zählen Harry Mulisch zu den bedeutendsten und schillerndsten Gestalten der niederländischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Den Weltruhm des Autors begründete 1982 sein Roman „Das Attentat“, dessen Verfilmung den Oscar gewann. Harry Mulisch erzählt in diesem Buch, dass er im Stil eines Thrillers geschrieben hat, die Geschichte von dem Mord durch Widerstandskämpfer an einem Nazi-Kollaborateur und der Vergeltung der deutschen Eroberer an einer unschuldigen Zivilistenfamilie. Harry Mulisch, der einmal von sich behauptete, er sei der Zweite Weltkrieg, lässt in diesem Roman die Grenzen zwischen Gut und Böse, Schuld und Verrat verschwimmen und zerstört alle Gewissheiten über das Verhältnis von Täter und Opfer.
Der „Goethe vom Leidseplein“
In Amsterdam nannten Harry Mulisch, alle, die ihn kannten, den „Goethe vom Leidseplein“. Wie Thomas Mann verbrachte der Schriftsteller jedes Jahr einige Tage in Venedig im Hotel „Des Bains“ am Lido. Er behauptete einmal in einem Interview, dass er nur die Bücher von Johann Wolfgang von Goethe, Thomas Mann und Jorge Luis Borges gelesen habe.
Als im vergangen Jahr eine Falschmeldung über seinen Tod erschien, teilte er mit: „Die schönste aller Ehrungen für mich wäre: Wenn ein Verrückter eingesperrt würde, weil er sich für Harry Mulisch hält.“ Widersprüche und eine Komplexität, die manchen Literaturkritiker verwirrte, zeichnet das literarische Werk von Harry Mulisch aus.
Der magisch-mystische Denker Harry Mulisch
Seine Lebenserinnerungen und seine vielfältigen Statements über den Zustand der Welt offenbaren, was Harry Mulisch wichtig war: Politik und Geschichte, Metaphysik und Mathematik, Kosmologie und Kabbala. Er bezeichnete sich selbst als Agnostiker und war zugleich ein magisch-mystischer Denker. Selbstironisch und verspielt entwarf er seine eigene, private Welt der Mythologie.
Harry Mulisch erhielt alle wichtigen Literaturpreise der Niederlande und wurde mit zahlreichen Ehrungen im Ausland überhäuft. Das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse erhielt er, weil er sich mit großem Einsatz für die Versöhnung zwischen Niederländern und Deutschen eingesetzt hatte. Nur der Literaturnobelpreis blieb im versagt.
Kurzbiographie: Harry Mulisch
Harry Kurt Victor Mulisch wurde 1927 in Haarlem geboren. Er wuchs beim Vater auf, der in Amsterdam in einer Bank arbeitete. Vom Vater hatte der Schriftsteller den Hang zu guten Manieren und eleganter Kleidung geerbt sowie die Vorliebe für deutsche Schriftsteller und Zahlenspiele. Eigentlich wollte Harry Mulisch Wissenschaftler werden, entschied sich aber dann doch für die Laufbahn eines Schriftstellers.
Seine erste Erzählung „De kamer“ (Das Zimmer) wurde 1947 veröffentlicht. Zu seinen bekanntesten Werken zählen das Puppenspieler-Epos „Archibald Strohalm“, die Reportage über den Eichmann-Prozess in Jerusalem „Strafsache 40/61“, der Roman „Das steinerne Brautbett“ und sein Monomental-Opus „Die Entdeckung des Himmels“. Harry Mulisch ergänzte sein facettenreiches Werk durch Bühnenstücke, Opernlibretti, Novellen, Essays und Gedichte. Zu seinen Spätwerken zählen der Wissenschaftskrimi „Die Prozedur“ und die Fiktion über Adolf Hitler „Siegfried“. Harry Mulisch starb am 30. Oktober 2010.
Von Hans Klumbies