Mehr Wohlstand bedeutet nicht automatisch mehr Glück

Dass in Deutschland bis heute ein hoher Lebensstandard herrscht, wird von den meisten Menschen nicht als Glück, sondern als Selbstverständlichkeit angesehen. Ulrich Schnabel weiß: „Denn auch das lehr die psychologische Forschung: Egal, wie sehr wir etwas erstreben – sobald wir es erreicht haben, gewöhnen wir uns daran und fassen andere Ziele ins Auge.“ Schon in den 1970er-Jahren wies eine berühmte Studie nach, dass Lottogewinner ein Jahr nach ihrem Gewinn ähnlich zufrieden oder unzufrieden mit ihrem Leben sind wie zuvor. Kurzfristig verschaffe ihnen der Millionensegen zwar ein enormes Glücksgefühl; doch bald setzte die Gewöhnung ein, und sie begannen, sich wieder wie zuvor über dieses und jenes zu ärgern. Die Lebenszufriedenheit steigt zwar mit steigendem Einkommen, doch nur bis zu einem bestimmten Niveau. Ulrich Schnabel ist seit über 25 Jahren Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT.

Reiche erleben häufiger Augenblicke von Ärger und Verlustangst

Dieses Plateau des „optimalen Einkommensniveaus“ liegt – je nach Studie – etwa zwischen 60.000 und 90.000 Euro. Das heißt: Das Klischee „arm, aber glücklich“ ist ebenso falsch wie das Bild vom stets glücklichen Reichen. Allerdings leben wohlhabende Menschen im Schnitt zehn Jahre länger als jene, die in der Armutsfalle sitzen. Auch genießen sie durchaus ihren Status und Erfolg. Jedoch hat das Reichsein auch seinen Preis: Menschen mit einem hochbezahlten Job sind in der Regel nervlich angespannter und erleben häufiger Augenblicke von Ärger und Verlustangst.

Die grundlegende kapitalistische Formel „Mehr Wohlstand = mehr Glück“ erscheint im Lichte der Emotionspsychologie also mindestens fragwürdig. Nicht auf den absoluten Wohlstand kommt es an, sondern auf den relativen. Diese Tatsache hat der amerikanische Psychologe Barry Schwartz einmal griffig so formuliert: „Warum war früher alles besser? Weil früher alles schlechter war!“ Bei schlechten Ausgangsbedingungen gibt es schließlich noch großes Verbesserungspotential.

Die Vorfreude ist die schönste Freude

Das sorgt nicht nur für Glücksgefühle, wenn die Verbesserung tatsächlich eintritt, sondern vor allem schon für Vorfreude auf dem Weg dahin. Und da sind sich Forschung und Volksmund einig: Die Vorfreude ist tatsächlich die schönste Freude. Je besser also die faktische Lage wird, umso schwieriger wird es, einen deutlichen Verbesserungseffekt zu erzielen. Die wahrgenommene Veränderung hängt entscheidend vom Anfangswert ab. Und je mehr jemand hat, umso stärker muss er sein Vermögen vergrößern, um überhaupt einen emotional relevanten Unterschied zu bemerken.

Mit einem Blick auf die Weltlage wird allerdings klar: Mit solch spürbaren materiellen Zuwächsen ist in Zukunft kaum mehr zu rechnen. Zumindest für die wohlhabenden Industrieländer ist die Zeit des unbegrenzten Wachstums vorbei. Denn neue Konkurrenten wie China oder Indien haben das Spielfeld betreten. Die globale Wirtschaft hat nicht nur Menschen weltweit in Kontakt gebracht, sondern auch einen globalen Wettbewerb entfesselt. Quelle: „Zuversicht“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies

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