Die Gefühlsarbeit ist das Schmiermittel der Gesellschaft

Wer denkt, nur die Liebe stellt den Gefühlshaushalt eines Menschen auf die Probe, irrt. Auch im Arbeits- und Geschäftsleben warten heutzutage zahlreiche emotionale Herausforderungen. Ulrich Schnabel nennt ein Beispiel: „Schon das Betreten eines modernen Kaufhauses ähnelt dem Eintauchen in ein sorgfältig temperiertes Bad der Emotionen, das einen wärmend umhüllt und zielgerichtet umschmeichelt.“ Angenehm plätschernde Hintergrundmusik, appetitlich aufgebaute Waren, einladend lächelnde Mitarbeiter – die Kunden sollen sich wohl und geborgen fühlen und den Wunsch entwickeln, möglichst viel von dieser Stimmung in bezahlter Form mit nach Hause zu nehmen. Kein Geschäft kommt heute ohne Emotionen aus. Wer erfolgreich sein will, muss vielmehr das Spiel auf der Klaviatur der Gefühle beherrschen, und zwar sowohl auf der eigenen wie auf der des Gegenübers. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

In den allermeisten Berufen geht es vor allem um emotionale Leistungen

Mit geschmeidiger Freundlichkeit gilt es, Kunden und Kollegen zu umgarnen und auch zum bösesten Spiel noch ein gut gelauntes Gesicht zu machen. Die Philosophin Heidemarie Bennent-Vahle schreibt: „Die neue Arbeitswelt fordert mehr denn je den ganzen Menschen und macht sich vor allem das Gefühlsleben zu Nutze, um Produktion und Verkauf anzukurbeln.“ Tatsächlich geht es heute in den allermeisten Berufen nicht einfach nur um das Erledigen von Sachaufgaben, sondern vor allem um emotionale Leistungen.

So leisten die meisten Menschen, auf die eine oder andere Weise stets Gefühlsarbeit – eine Arbeit, die in den seltensten Fällen als solche wahrgenommen wird und die doch das Schmiermittel der Gesellschaft ist, unabdingbar für das Funktionieren vieler Geschäfte und Berufe. Ulrich Schnabel ergänzt: „Dabei verlangt nicht nur der Umgang mit Kunden und Geschäftspartnern heute psychologisches Feingefühl, auch das Miteinander mit den lieben Kollegen und ihren jeweiligen Macken erfordert oft mehr emotionale Anstrengung als die eigentliche Arbeit.“

Die Soziologin Arlie Hochschild machte den Begriff „Gefühlsarbeit“ bekannt

Und für das Gefühlsleben sind die Anforderungen der modernen Emotionsarbeit mindestens so prägend wie die Erfahrungen in der Liebe. Das verbreitete Phänomen des Burn-out beispielsweise hat mindestens ebenso viel mit mangelnder Anerkennung und fehlender emotionaler Belohnung zu tun wie mit der Anzahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden. Dennoch verhält es sich mit der Gefühlsarbeit ähnlich wie mit der Arbeit im Haushalt: Sie ist eine Schattenarbeit, eine Anstrengung, die im Dunkeln bleibt und nicht als wirkliche Arbeit angesehen wird, obwohl sie für das Gelingen des Ganzen unabdingbar ist.

Vor allem Arlie Hochschild, heute emeritierte Professorin für Soziologie der University of Berkeley in California, machte Anfang der 1980er Jahre den Begriff der „Gefühlsarbeit“ bekannt. In ihrem Buch „Das gekaufte Herz“ beschrieb sie diese Art von Arbeit am Beispiel amerikanischer Stewardessen, die in ihrer Ausbildung regelrecht darauf gedrillt wurden, sich nicht nur freundlich zu verhalten, sondern sich auch entsprechend zu fühlen. Zugleich mussten die Stewardessen üben, auf Kommando zu lächeln. Quelle: „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies