Ein Ich kann sich nur in Resonanz mit einem Du entwickeln. Von dieser Entstehungsgeschichte des menschlichen Selbst handelt das neue Buch „Wie wir werden, wer wir sind“ von Joachim Bauer. Sein wahres Selbst „schlummert“ nicht in einem Menschen, sondern es wartet darauf, gefunden und optimiert zu werden. Vor allem ist es das Produkt von Resonanzen – den geteilten Erfahrungen, Freunden und Ängste. Joachim Bauer macht seinen Lesern bewusst, dass dieses Ich nicht – wie lange angenommen – in Stein gemeißelt ist, sondern im Prozess ständiger Selbstkonstruktion ein Leben lang in Wandlung bleibt, wachsen und sich verändern kann. In Zeiten grassierender Ichbezogenheit und gesellschaftlichen Strömungen, die Selbstbehauptung gegenüber anderen forcieren, vermittelt Joachim Bauer ein neues Bild davon, wie Menschen werden, wie sie sind, und erklärt, warum sie diesen Weg nur gemeinsam finden. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.
Nur der Mensch kann sich an der Konstruktion seines Selbst beteiligen
Joachim Bauer schreibt: „Unser Selbst ist unauflöslich verbunden mit dem Du und, mehr als uns das bewusst ist, immer auch ein Wir.“ Dies gilt für Menschen aller Ethnien. Das Ausmaß, in dem Ich und Wir identisch sind, ist allerdings kulturabhängig. In Säuglingen und Kleinkindern komponiert sich ein Selbst, dessen Themen von ihren Bezugspersonen über Resonanzvorgänge in sie hineingelegt wurden. Je weiter ein Mensch heranwächst und persönlich reift, desto mehr wird das Selbst zu einem Akteur, der mitspricht und beeinflusst, was mit ihm geschieht.
Im Verlauf seines Lebens entwickelt ein Mensch ein Gefühl, das ihn spüren lässt, welche an ihn herangetragenen Angebote zu ihm passen und zu einem stimmigen Teil des persönlichen Selbst werden könnten, und welcher seiner Identität Gewalt antun würden. Der Mensch ist das einzige Wesen, das sich an der Konstruktion seiner selbst – und seines Selbst – beteiligen kann. Ganz besonders im Kindes- und Jugendalter, aber auch danach bedarf das Selbst interessanter Angebote, die ihm das Material für seine lebenslange Selbstkonstruktion bieten.
Gute Selbstfürsorge fördert das Lebensglück
Vielen Menschen bleibt allerdings der Weg zu persönlicher Autonomie versperrt. Selbstenteignung kann dabei in unterschiedlichen Varianten auftreten. Das Selbst kann unter den Einfluss externer Manipulatoren – zu diesen zählen heute zahlreiche Plattformen des Internets – geraten. Manche Menschen haben große Teile ihres Selbst und die Selbststeuerung ganz und gar auf einen anderen Menschen übertragen, der für sie sozusagen als externe Festplatte fungiert.
Das Lebensglück eines Menschen setzt zweierlei voraus: einerseits, dass man seine Identität bewahrt und nichts in sich hineindrücken lässt, was sich nicht mit dem eigenen Selbst kongruent anfühlt. Andererseits, dass man durchlässig bleibt, eigene Haltungen und Werturteile in Frage stellt und sich von anderen Menschen inspirieren und verändern lässt. Vor allem aber geht es Joachim Bauer in seinem Buch „Wie wir werden, wer wir sind“ um eines: „Dass wir uns selbst besser verstehen lernen und erkennen, was gute Selbstfürsorge bedeutet.“
Wie wir werden, wer wir sind
Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz
Joachim Bauer
Verlag: Blessing
Gebundene Ausgabe: 254 Seiten, Auflage: 2019
ISBN: 978-3-89667-620-7, 22,00 Euro
Von Hans Klumbies