Viele Politiker sind stark auf ihre persönliche Bedeutung fixiert

Horst Seehofer, Bayerischer Ministerpräsident, lebt nach den Wahlen im September 2013 laut Frankfurter Allgemeinen Zeitung ganz in dem Bewusstsein, selbst das Volk zu sein. Zunehmend stellt er sich wie das Abbild eines Bürgerkönigs wie anno dazumal dar. Viele Politiker fallen aus Raum und Zeit, wenn sie erst einmal an die Macht gelangt sind. Thomas Rietzschel nennt ein Beispiel: „Als es um die Einführung der Euro-Bonds ging, um Staatsanleihen für Euro-Staaten, erklärte die deutsche Bundeskanzlerin, dazu würde es nicht kommen, solange sie lebe. Was ihr im Eifer des Gefechts entfuhr, verriet, dass sie sich eine Abberufung von der Entscheidungsebene nur durch den Gevatter Tod vorstellen kann.“ Thomas Rietzschel studierte Germanistik, Geschichte und Psychologie in Leipzig und ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Kulturgeschichte der Moderne.

Die Politiker in Brüssel haben den Kontakt zur Bevölkerung längst verloren

An diesen beiden Beispielen kann man leicht erkennen, wie Politiker auf ihre eigene Bedeutung fixiert sind. Als Angehörige des politischen Kartells verstehen sich viele von ihnen als nahezu alternativlos. Thomas Rietzschel erklärt: „Dieses Sendungsbewusstsein mag bis zu einem gewissen Grad notwendig sein, um mit Überzeugung etwas durchsetzen zu können, zugleich schlägt es aber diejenigen mit Blindheit, die sich darin wiegen. Geblendet von ihrer Hybris, übersehen sie die drohende Gefahr.“

Die Illusion verwandelt sich dann in Realität und die Luftschlösser werden immer größer. Wer sich darüber aufregt und Realitätssinn einfordert, wird entweder mitleidig belächelt oder bisweilen hochnäsig abgefertigt. Von ihrem Tun voll überzeugte Politiker sind teilweise nicht mehr von dieser Welt. Sie haben sich einen Parteiapparat erschaffen, der sie einerseits bestärkt und mit dem sie andererseits in eine gefährliche Isolation geraten. So spielen sie zum Beispiel in Brüssel unverdrossen Europa, ohne zu bemerken, dass sie den Kontakt zur Bevölkerung längst verloren haben.

Die Basis der politischen Parteien zerbröselt zusehends

Die meisten Bürger erwarten von der Politik nach wie vor eine immer weitere Verbesserung der Lebensverhältnisse, und für einen Großteil bedeutet dies schlicht unverändert einen materiellen Zugewinn. Doch gleichzeitig wächst eine Opposition heran, die fürchtet, dabei als Mensch sowohl geistig-kulturell als auch demokratisch zu verarmen. Thomas Rietzschel fügt hinzu: „Für sie umfasst der Wohlstand mehr, als die konsumorientierte Politik organisieren zu vermag. Dass auf die diversen Wahlversprechen ohnehin nichts zu geben ist, hat sich mittlerweile bis in die Ortsvereine der SPD herumgesprochen; nicht nur ihre Basis zerbröselt zusehends.“

Wolfgang Merkel, Direktor der Abteilung „Demokratie“ am Wissenschaftszentrum Berlin, erläutert: „Die Parteien drohen zu mitgliedsarmen Kartellen mit monopolistischem parlamentarischem Repräsentationsanspruch zu verkommen.“ In seinen Studien kommt der Forscher zu dem Ergebnis, dass dem etablierten Politikbetrieb die Bedeutung, die er sich anmaßt, schon lange nicht mehr zukommt. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel zählt der Landesverband der regierenden SPD keine dreitausend Mitglieder.

Von Hans Klumbies