Was die digitale Technik bringt, kann sowohl ein Rückschritt als auch ein Fortschritt sein. Richard David Precht kennt die Gefahren des kulturellen Rückschritts: „Viele visionären Ideen, die aus dem Silicon Valley kommen, sind bei näherer Hinsicht keine. Nicht wenigen mangelt es an Menschenkenntnis.“ Und ersonnen wird, was die Technologie hergibt, und nicht, was viele Menschen oder die Gesellschaft dringend brauchen. Vieles, was sich technisch perfektionieren lässt, muss und sollte gar nicht perfektioniert werden. Jedenfalls nicht, ohne damit Folgen zu produzieren, die niemand im Sinn hat und keiner tragen will. Wenn alles effizient und perfekt optimiert ist, lässt sich nichts mehr verändern oder variieren, ohne die Dinge weniger effizient zu machen. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.
Das Leben ist widerständig und unberechenbar
Der effizienteste Zustand des Menschen, die perfekteste Lösung aller Lebensprobleme ist der Tod. Er ist die Form, in der man sich nicht mehr bewegen muss und keine Energie mehr verbraucht. Nach seinem Tod muss sich der Mensch nicht mehr anstrengen und ist von allen Wirrnissen und Unbilden des Lebens befreit. Eine bessere Lösung als den Tod gibt es nicht. Er ist der smarteste Zustand des Menschen. Das Leben aber ist nicht smart. Es ist widerständig, unberechenbar, unausgegoren und uneindeutig. Und gerade das macht es lebenswert und aufregend!
Richard David Precht fordert: „Eine menschenfreundliche Utopie für das digitale Zeitalter muss genau hier ansetzen. Sie muss den Blick dafür schärfen, welcher technische Fortschritt erstrebenswert ist und welcher nicht.“ Dass man sich gegenwärtig anschickt, Personalchefs durch Software zu ersetzen, wird sicher als Schnapsidee in die Geschichte eingehen. Denn wen der Computer als optimale Besetzung errechnet, muss nicht zu den Menschen passen, mit denen er zusammenarbeitet.
Technologien können sehr schädlich sein
Schlimmer noch sind Abkürzungen, die sich später als gefährlich erweisen. So unterstützten CDs und DVDs zwischen 1997 und 2007 jedes dritte Kleinkind in den USA dabei, seine Muttersprache zu lernen. Mithilfe von „Brainy Baby“ und „Baby Einstein“ sollten die lieben Kleinen bestmöglich trainieren. Das Ergebnis war eine Katastrophe. Bei wissenschaftlichen Tests schnitten die solchermaßen trainierten Kleinkinder auffallend schlecht ab. Um seine Muttersprache zu erlernen, reagiert das Kind nicht nur auf Worte, sondern ebenso sehr auf Augenkontakt, Mimik, Gesten und Zuwendungen.
Die nonverbale Kommunikation ist bei Menschen mindestens so wichtig wie die verbale. Konzerne wie Disney erwirtschaften mit derartigen Lernprodukten 400 Millionen US-Dollar Gewinn und hinterließen ein desaströses Ergebnis bei den betroffenen Kindern. Das Beispiel ist ein Beleg dafür, wie der Glaube an eine neue Technologie, die eine Erleichterung oder Abkürzung verspricht, schnell zu einem Objektivitätsschaden führen kann. Überall da, wo typisch Menschliches und psychologisch Bedeutsames durch Technik ersetzt wird, drohen unübersehbare Folgen. Quelle: „Jäger, Hirten, Kritiker“ von Richard David Precht
Von Hans Klumbies