Die Smartphones arbeiten im Akkord

Computer-Logik ist ansteckend. Immer mehr Leute tröten ihre Entweder-Oder-Thesen heraus. Kaum versucht man, das Gesagte oder Gepostete zu verstehen, kaum hat sich ein Hauch von Ahnung in einem geformt, wird man auch schon wieder unterbrochen. Rebekka Reinhard erläutert: „Denn die Smartphones arbeiten im Akkord, produzieren Aktion und Reaktion am laufenden Band. Breaking News strukturieren den Alltag, auch wenn Sie nicht am Newsdesk einer Zeitungsredaktion sitzen.“ Schon wieder hat irgendwer irgendwas gesagt! Die Unterbrechung kommt ganz automatisch. Was sagt Markus Söder, was sagen Spiegel Online und Anne Will? Echt oder Fake, war oder falsch? Wer mithalten will, muss denken: hart, schnell und emotional. Für die geduldige, kritische hinterfragende Auseinandersetzung mit Fakten hat man längst eine virtuelle Gedenkstätte eingerichtet. Philosophin Rebekka Reinhard war, bis zur Einstellung der Zeitschrift, stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

Unendlich viele Informationen erleuchten die Welt

Man darf den Verlust des Selbstdenkens bedauern, aber bitte nicht allzu lange. Entweder man denkt wie ein Computer – oder man verliert den Anschluss. Je wirksamer man darauf konditioniert ist, die Widersprüchlichkeit der Welt zu negieren und Vieldeutigkeit in Eindeutigkeit zu verwandeln, desto komplexer, undurchsichtiger, bedrohlicher erscheint sie. Realitätsschock? Gibt es noch ein Außerhalb der Situation, in der man wie Locked-in-Patienten gefangen ist? Das Netz, das man in Hand- und Hosentasche immer mit sich trägt, hat die Menschen mit seinen Milliarden unsichtbaren Fäden eingesponnen.

Es existiert kein archimedischer Punkt, von dem aus man auf die Welt blicken kann, um das Wirrwarr zu ordnen. Was zeigt sich denn dann überhaupt noch? „Es zeigt sich nichts als die absolute Gegenwart“, sagt die ungarische Philosophin Ágnes Heller (1929 – 2019). Rebekka Reinhard ergänzt: „Wer sehen nichts mehr, weil wie die Wahl haben zwischen zu vielen Perspektiven, Meinungen, Handlungsoptionen. Die Welt wird von unendlich vielen Informationen erleuchtet.“

Likes und Dislikes sorgen für eine klare Struktur

Zahlen, Daten, Fakten, die man nur schwer wieder löschen kann, die wie Fliegendreck auf dieser Welt kleben. Und das kurzzeitig erleuchtete Universum sogleich wieder verdunkeln. Je mehr Fliegendreck, je dunkler und undurchsichtiger die Welt, desto größer die Versuchung, ihre Erscheinungsformen zu bearbeiten. Automatisierte Realitäten aus Nullen und Einsen herzustellen, in denen alles läuft wie am Schnürchen, wo Likes und Dislikes für eine klare Struktur sorgen.

Rebekka Reinhard weiß: „Computer-Logik generiert eindeutige Realitäten wie Andy Warhol Suppendosen: massenhaft.“ Die Pop-Art-Suppendosen sind Kreationen eines ironischen Künstlers, der Ambivalenzen liebte. Was über die Authentizität einer Atmosphäre entscheidet, ist nicht die logische Prüfung, sondern das ästhetische Geschmacksurteil. Echt ist, was sich gut anfühlt, schön aussieht und lecker schmeckt. Dabei handelt es sich um eine echte Belohnung. Quelle: „Wach denken“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies