Die Entstehung des Lebens ist immer noch ungeklärt

Die Geschichte des Lebens war keine gleichmäßige Entwicklung. Sondern sie war charakterisiert durch lange Phasen, oft über Hunderte von Millionen Jahren, in denen wenig Neues geschah. Plötzlich entstanden dann durch „Sprünge“ in verhältnismäßig kurzer Zeit vollkommen neue Organisationsformen. Der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould und der Paläontologe Niles Eldredge sprachen angesichts dieser stark schwankenden Geschwindigkeiten auch von einem „punktierten Gleichgewicht“. Fabian Scheidler weiß: „Evolutionäre Sprünge zeichnen sich oft dadurch aus, dass zuvor getrennte Elemente zu neuen integrierten Einheiten verbunden werden, die vollkommen neue Eigenschaften aufweisen.“ Diese neuen Eigenschaften lassen sich nicht aus dem Verhalten der einzelnen Teile ableiten oder auf sie reduzieren. Sie tauchen erst auf der höheren Integrationsebene auf. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.

Aminosäuren und Nukleotide sind die Basis der „Erbsubstanz“

Die Entstehung solcher emergenter Systemeigenschaften durch Integration zuvor getrennter Teile bezeichnete Konrad Lorenz als „Fulguration“. Die Evolution ist voller solcher Fulgurationen. Deren bedeutendste und bislang rätselhafteste ist die Entstehung des Lebens selbst. Der Biochemiker Louis Pasteur sagte: „Alles Lebendige entsteht aus Lebendigem.“ Irgendwann aber muss Leben aber aus der nichtlebenden Welt entstanden sein. Doch wie, das ist bis heute nicht geklärt und wird möglicherweise auch niemals eindeutig zu klären sein.

Fabian Scheidler erläutert: „Die am weitesten verbreitete Theorie geht davon aus, dass sich vor etwa vier Milliarden Jahren im Urozean aus einfachen Atomen und Molekülen durch die hohe Energie von Blitzen oder Unterwasservulkanen die ersten Aminosäuren und Nukleotide bildeten.“ Diese sind wiederum die chemische Grundlage von Eiweißen und Nukleinsäuren der „Erbsubstanz“ (RNA/DNA). Der Biochemiker Manfred Eigen konnte in den 1970er-Jahren zeigen, dass solche Moleküle unter bestimmten Bedingungen selbstorgansierte Prozesse in Gang setzen können. Diese können sich sowohl selbst stabilisieren als auch vervielfältigen.

Zellmembrane kommunizieren mit ihrer Umgebung

Von dieser chemischen Selbstorganisation zu einer lebenden Zelle ist aber noch ein weiter Weg. Und es gibt bisher keine allgemein anerkannte und falsifizierbare Theorie, die diesen Sprung erklären kann. Die Hypothese von der „RNA-Welt“ nimmt an, dass sich ein dynamisches Spiel von Ribonukleinsäuren (RNA) und Eiweißen entwickelt hat, bei dem die Nukleinsäuren auch als Katalysatoren des gesamten Prozesses wirkten. Die alleinige Konzentration auf die RNA und DNA blendet allerdings ein Element aus, das mindestens ebenso wichtig für die Entstehung und Existenz lebender Wesen ist: die Zellmembran.

Zellmembrane schließen nicht nur einen bestimmten Bereich von der Umgebung hermetisch ab, sondern sie sind auch Organe eines höchst selektiven Austausches. Sie kommunizieren mit ihrer Umgebung. Fabian Scheidler erklärt: „Die Membrane bestehen aus sogenannten Lipiden, also fettähnlichen Stoffen, die durch ihre Anordnung eine halbdurchlässige Schicht bilden. In diese Schicht sind wiederum Eiweiße eingelagert.“ Von denen bilden einige Kanäle, andere „warten“ darauf, dass weitere Eiweiße an ihnen andocken und dadurch komplexe Reaktionen auslösen. Quelle: „Der Stoff aus dem wir sind“ von Fabian Scheidler

Von Hans Klumbies