Sprachliche Einrahmungen sind normal

Die Wortwahl der Alternative für Deutschland (AfD) erfüllt zwei Funktionen. Erstens sendet sie Signale an die rechtsradikalen Wähler. Zweitens verharmlost sie die Radikalität gegenüber der Mehrheitsgesellschaft. Die Horden auf den Straßen von Chemnitz richteten sich bewusst gegen die soziale Erwünschtheit. Rechtsradikale Politiker loten die Grenzen des Sagbaren immer wieder aufs Neue aus. Philipp Hübl ergänzt: „Politiker haben zu allen Zeiten ihre Programme in wirksame Worte verpackt. Vor allem in moralisch umstrittenen Fragen ist die sprachliche Fassung entscheidend.“ Deshalb nannte das US-Militär seinen Einsatz in Afghanistan „Operation dauerhafte Freiheit“ und nicht „Angriffskrieg“. Ein typisches Beispiel für eine sprachliche Einrahmung im Alltag ist der Euphemismus „Lebenskünstler“ für „Arbeitsloser“. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

Wörter beeinflussen nicht das Denken

Verharmlosende Beschönigungen sind meist leicht zu durchschauen. Allerdings können Wörter auch einen Einfluss auf Entscheidungen haben. Oft gibt das Framing, die sprachliche Verpackung den Ausschlag, nicht die nackten Zahlen. Der tiefere Grund für diesen Effekt sind Emotionen. Wer er schafft, mit seinen Worten die passenden Emotionen anzusprechen, kann die Entscheidungen von Menschen beeinflussen. Allerdings ist dieser Effekt bisher nur für wenige Szenarien nachgewiesen.

Die Auffassung, Wörter würden das persönliche Weltbild beeinflussen oder gar festlegen, ist als „sprachliche Relativitätsthese“ bekannt. Dies hat jedoch mehr mit Sprachmystik als mit seriöser Wissenschaft zu tun. Philipp Hübl erläutert: „Für sich genommen beeinflussen Wörter nicht unser Denken, sondern sie rufen allenfalls manchmal Emotionen hervor, die wiederum Einfluss auf Entscheidungen haben.“ Versetzt man Versuchspersonen in Angst- oder Ekelzustände, fällen sie etwas konservativere moralische Urteile als im neutralen Zustand. Doch solche Emotionen hängen nicht an Wörtern.

Das Gefühl der Bedrohung entsteht nicht durch Wörter

Mit Bildern kann man Emotionen genauso gut und oft sogar besser hervorrufen. Die Wörter sind also lediglich Vermittler, nicht die direkten Auslöser. Natürlich stimmt es, dass Wörter wie „Flüchtlingswelle“ und „Flüchtlingsflut“ Flüchtlinge entindividualisieren und als bedrohliche Naturkatastrophe darstellen. Dass dieses Gefühl der Bedrohung durch Wörter entsteht, ist allerdings bisher nicht empirisch nachgewiesen. Nicht das Wort „Schmarotzer“ macht Menschen fremdenfeindlich, sondern umgekehrt: Wenn jemand fremdenfeindlich ist, wird er eher Worte wie „Schmarotzer“ verwenden.

Die Verrohung des Diskurses ist also eher ein Symptom als ein Auslöser des Rechtsrucks. Man muss schon eine menschenfeindliche Einstellung haben, um darauf anzusprechen, wenn ein Politiker wie André Poggenburg Türken als „Kümmelhändler“, „Kameltreiber“ und „vaterlandsloses Gesindel“ diffamiert. Bei Menschen mit einem progressiven Emotionsprofil lösen solche Wörter das Gegenteil aus, nämlich eine Abwehrreaktion. Rechtsradikale Politiker setzen in ihrer Rhetorik allerdings darauf, bei den Verunsicherten die Angst vor Fremden und die Wut auf die Mächtigen zu einer handfesten Fremdenfeindlichkeit und zu Hass auf die Eliten auswachsen zu lassen. Das ist eine typische Strategie von Populisten. Quelle: „Die aufgeregte Gesellschaft“ von Philipp Hübl

Von Hans Klumbies