Der Mensch ist nicht mehr „Herr im eigenen Haus“

Sigmund Freud beschrieb 1917 die Kränkungen der Menschheit, nicht mehr im Mittelpunkt der Welt zu stehen und sogar Teil des Tierreichs zu sein. Und noch dazu, so schloss er aus einer eigenen Arbeit, nicht „Herr im eigenen Haus“ zu sein. Humanistische Gymnasien und aufgeklärte Philosophen konnten den Menschen als aufgeklärte Vernunftwesen feiern, solange sie wollten. Philipp Blom stellt dagegen fest: „Der Arzt und Denker Sigmund Freud glaubte zu verstehen, dass diese Ansicht auf einer frommen Illusion fußte.“ Was Individuen als sinnvolle, freie Entscheidungen oder sinnlose Zwangshandlungen wahrnahmen, war nur die trügerische Oberfläche eines Gewässers. Dessen Tiefenströmungen und tief verankerten, frustrierten und verdrängten Triebe und Erinnerungen gaben die eigentliche Lebensrichtung vor. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford.

René Descartes unterschied zwischen Geist und Materie

Die große Encyclopédie von Diderot und d`Alembert ist ein epochales Werk. Sie ist ein immens detailliertes Abbild der Welt um die Mitte des 18. Jahrhundert. Zudem ist sie ein philosophisches Manifest, das immer wieder, soweit es die Zensur erlaubte, für eine rationale, produktive, demokratische Ordnung eintrat. Sie beschrieb in 17 Bänden Text und elf Bänden mit Illustrationen die damalige Realität bis in die kleinsten bekannten oder spekulativen Einzelheiten.

Schon ein Jahrhundert zuvor hatte der Philosoph René Descartes einen strikten Dualismus zwischen Geist und Materie postuliert. Dabei handelt es sich um eine Umformung der christlichen Unterscheidung zwischen Körper und Seele. Tiere waren nach seiner Theorie nichts als biologische Maschinen ohne Gefühle und Selbstbewusstsein. Sie waren blind funktionierende Mechanismen, die Luft und Energie aufnahmen, um Wärme und Bewegung zu produzieren und sich fortzupflanzen.

Die stetige Dynamik stellt die einzige Sicherheit dar

Innerhalb eines Menschenlebens sollte die Erfindung der Dampfmaschine die gesamte westliche Welt revolutionieren. Sie ermöglichte die Industrialisierung, die Massenproduktion und die Revolution der fossilen Brennstoffe. Sie war zudem verantwortlich für die Verstädterung Europas und führte zu einer neuen Ära der globalen Macht. Die besten wissenschaftlichen Köpfe ihrer Zeit waren allen Neuerungen und allem Fortschritt gegenüber mehr als aufgeschlossen. Eine Frage ergibt sich daraus für Philipp Blom: „Was ist die Dampfmaschine der Gegenwart?“

Heutzutage wird das Erkennen von Strukturen und Potenzialen immer schwieriger. Denn die Gegenwart ist eine Zeit, in der Wahrheit, Fakten, Institutionen, Ideen und Bündnisse zusehends verschwimmen und zerlaufen. Der Philosoph Vilém Flusser beschrieb die Welt aus Sicht einer zunehmend medialisierten Öffentlichkeit als eine glänzende Oberfläche aus Information und Entertainment. Dahinter ist die eigentliche Substanz immer weniger wichtig. Die Gegenwart erscheint als eine dauernd sich verändernde Oberfläche, glatt und ohne Widerstand, eine Geschichte vom tiefelosen Leben. In dieser Welt stellt die stetige Dynamik die einzige Sicherheit dar. Quelle: „Das große Welttheater“ von Philipp Blom

Von Hans Klumbies