Ökonomen gehen sparsam mit Liebe um

Im Jahr 1954 hielt Dennis Robertson, eine der führenden Ökonomen seiner Zeit, eine Vorlesung zum Thema: „Womit geht der Ökonom sparsam um?“ Robertsons Antwort lautete: „Mit Liebe.“ Jonathan Aldred erläutert: „Robertson verwendete das Wort Liebe als Kürzel für Freundlichkeit, Großzügigkeit und andere altruistische Tugenden.“ Er argumentierte, dass Ökonomik und Ökonomen es vermeiden würden, „jene knappe Ressource Liebe“ zu vergeuden, wenn sie politische Maßnahmen, Gesetze und Organisationen förderten, die sich ausschließlich auf Egoismus verließen. Für Dennis Robertson waren Liebe und andere altruistische Tugenden so ähnlich wie knappe Rohstoffe. Da deren Bestand bei jeder Verwendung schrumpft, sollten sie wohlweislich für Notzeiten gehortet werden. Jonathan Aldred ist Direktor of Studies in Ökonomie am Emmanuel College. Außerdem lehrt er als Newton Trust Lecturer am Department of Land Economy der University of Cambridge.

Altruismus ist ein knappes Gut

Viele bedeutende Ökonomen teilen diese etwas befremdlich anmutende Fehleinschätzung des menschlichen Wesens. Der Nobelpreisträger Kenneth Arrow sprach sie dafür aus, Blutkonserven über einen Markt bereitzustellen. Er befürchtete, dass auf Spenden kein Verlass ist. Kenneth Arrows fordert: „Auf ethisches Verhalten sollten wir nur dann zurückgreifen, wenn das Preisfindungssystem zusammenbricht. Wir wollen nicht den Fehler machen, die knappe Ressource altruistischer Motivation leichtfertig aufzubrauchen.“

Larry Summers hat den Umstand, dass Ökonomen sich auf Egoismus verlassen, mit ähnlichen Argumenten verteidigt: „Wir haben nur eine gewisse Menge an Altruismus in uns. Ökonomen wie ich betrachten Altruismus als ein wertvolles und seltenes Gut, mit dem man sparsam umgehen muss.“ Es ist richtig, dass eine Gesellschaft, in der man die Menschen ständig gedrängt, sich solidarisch mit ihren Mitbürgern zu zeigen, schnell an die Grenzen des Altruismus stößt. Doch Altruismus wird laut Jonathan Aldred nicht durch Beanspruchen aufgebraucht.

Niemand kann wie der homo oeconomicus leben

So funktionieren die altruistischen Tugenden nicht. Im Gegenteil, sie sind eher wie ein Muskel, der erlahmt und schrumpft, wenn man ihn nicht regelmäßig gebraucht. Schon Aristoteles hat betont, dass Tugend etwas ist, das man durch Übung fördert: „So wird man auch gerecht dadurch, dass man gerecht handelt … Und tapfer dadurch, dass man sich tapfer benimmt.“ Heute drückt man es etwas weniger poetisch aus: „Nutze es oder verliere es.“ Auch hier sieht Jonathan Aldred, wie wirtschaftliches Verhalten sich selbst bewahrheiten kann.

Indem es sich auf den menschlichen Egoismus konzentriert, führt ökonomisches Denken dazu, dass die altruistischen Tugenden schwinden. Der persönliche Egoismus dagegen nimmt zu. Doch die Ironie liegt darin, dass all das getan wird, um diese altruistischen Tugenden zu erhalten. Die meisten Menschen wissen inzwischen, dass niemand so leben kann wie der homo oeconomicus. Und wenn rational sein bedeutet, endlose Berechnungen über Kosten und Nutzen anzustellen, kann der Mensch auch nicht rational sein. Quelle: „Der korrumpierte Mensch“ von Jonathan Aldred

Von Hans Klumbies