Peter Scholl-Latour erweist sich als exzellenter Chinakenner

Viele Menschen in Deutschland haben den Aufstieg Chinas zur Weltmacht mit Unbehagen und Missgunst zur Kenntnis genommen. Die breite deutsche Öffentlichkeit hat laut Peter Scholl-Latour nicht aufgehört, die chinesische Entfaltung kleinzureden und immer wieder zum „China bashing“ auszuholen, wozu sie durch eine voreingenommene und systematisch desinformierte Presse stimuliert wird. Peter Scholl-Latour fügt hinzu: „Als kommerzieller Partner ist China für die heutige Bundesrepublik unentbehrlich geworden. Doch wann immer die Gelegenheit sich dazu bietet und der transatlantische Allianzpartner das zu erwarten scheint, bricht in den deutschen Medien ein Chor der Verwünschungen gegen die roten Mandarine von Peking aus.“ Peter Scholl-Latour arbeitet seit 1950 als Journalist, unter anderem viele Jahre als ARD-Korrespondent in Afrika und Indochina, als ARD-Studioleiter in Paris, als Fernsehdirektor der WDR, als Herausgeber des STERN. Seit 1988 ist er als freier Publizist tätig.

Die Rücksichtnahme auf China ist ein Gebot der Vernunft und Selbsterhaltung

Peter Scholl-Latour vertritt die These, dass man in Deutschland die globalen Umschichtungen ignoriert und nicht begreifen kann, dass die aus Not und Unterdrückung sich erhebenden Nationen anderer Kontinente den Grundsatz von Bertolt Brecht beherzigen: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, sprich die Demokratie. Für Peter Scholl-Latour besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass die sich auflösende Weltordnung einer nüchternen Analyse bedarf.

In der aktuellen Eurokrise, in der Europa verzweifelt zappelt, wäre für Peter Scholl-Latour eine minimale Rücksichtnahme auf China, das über die weitaus größten Währungsreserven der Welt verfügt, ein Gebot elementarer Vernunft und Selbsterhaltung. Auch wenn Peking weiterhin jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten seiner Vertragspartner und Klienten ablehnt und in keiner Weise beabsichtigt, durch irgendwelche Ermahnungen oder Pressionen mäßigen Einfluss selbst auf verbrecherische Systeme zu nehmen.

Die Chinesen selbst werden über die Gestaltung ihrer politischen Zukunft entscheiden

Ein Staatswesen wie China bedarf laut Peter Scholl-Latour einer richtungweisenden Ideologie, zumal wenn der rasante soziologische Umbruch seine phänomenalen Errungenschaften erhalten und weiter ausbauen will. Peter Scholl-Latour erklärt: „Diese uralte Kulturnation wird sich niemals aus gewissen ererbten Strukturen lösen können, die im Laufe der Jahrtausende zwar vorübergehend erschüttert, sich dann aber immer wieder bestätigt haben. Die Macht des Kaisers, des Drachensohnes, war stets gebunden an den Auftrag des Himmels, an einen Zustand der friedlichen Ordnung, an eine mythische Vorstellung von Harmonie und an das Wohlergehen des Volkes.

Peter Scholl-Latour geht davon aus, dass mit zunehmenden Lebensniveau und dem Entstehen einer breiten Mittelschicht in China, das Aufkommen politischer Mäßigung und alltäglicher Exzesse wohl auf Dauer nicht verhindert werden dürften. Aber die Hinwendung zu europäischen oder amerikanischen Formen parlamentarischer Streitkultur kann sich der Chinaexperte nicht vorstellen. Peter Scholl-Latour fasst zusammen: „Die Chinesen selbst werden über ihre politische Zukunftsgestaltung entscheiden. Jede Einmischung von außen wäre nicht nur ungehörig, sondern töricht.“

Von Hans Klumbies