Der Begriff Macht ist sehr schwer zu fassen

Macht ist das Thema der Geschichtsschreibung, dem man fast überall begegnet, das aber zugleich am schwersten zu fassen ist. Christopher Clark erläutert: „Machtfragen stehen im Zentrum der meisten historischen Narrative. Doch der Begriff selbst wird selten hinterfragt oder analysiert.“ Das Wesen der Macht ist begrifflich so weitreichend und unergründlich aufgebläht, dass man instinktiv dazu neigt, das Wort im Plural zu gebrauchen. „Macht“ ist keine Eigenart, die man Gruppen oder Einzelpersonen zuschreiben kann. Vielmehr drückt sich darin eine Beziehung untereinander aus. Folglich ist Macht weder eine substantielle Entität, noch eine Institution. Michel Foucault lehnte es ab, den Begriff unter einer separaten Rubrik zu behandeln. Sondern er bettete seine Überlegungen in eine Analyse der spezifischen institutionellen und disziplinarischen Kontexte und Praktiken ein. Christopher Clark lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine`s College in Cambridge.

Die Weltgeschichte war eine Abfolge von Reichen

Die Beziehungen, in denen sich Macht bemerkbar macht, sind ebenso vielfältig wie das gesamte Feld der menschlichen Erfahrung. Als rein relationales Konzept lässt sich Macht oftmals nur schwer lokalisieren. „Macht“ und „Einfluss“ werden zwar austauschbar verwendet, sind aber nicht unbedingt gleichbedeutend. Die Grenzen zwischen Macht und Autorität sind häufig fließend. Das Buch Daniel schuf die Grundlage für eine Sichtweise der Weltgeschichte, die von einer prophezeiten Abfolge von Reichen ausgeht.

Christopher Clark stellt fest: „Auf das Zeitalter der Babylonier folgte das der Meder und Perser. Danach kamen die Griechen und zuletzt die Römer.“ Deren Herrschaft überdauerte nach Auffassung vieler Europäer in der Form des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation das Altertum. Dieses Muster hatte bis weit in die frühe Neuzeit großen Einfluss und ist heute in der Welt der Entrückungs-Websites stark verbreitet. Der Begriff „Entrückung“ spielt auf eine eschatologische Doktrin an, die postuliert, dass die Weltgeschichte mit einer siebenjährigen Phase der Kümmernis enden wird.

Synchrone Beziehungen prägen die Geschichte der Reiche

Daniels Prophezeiung stellte sich die Weltgeschichte als eine Aufeinanderfolge von Mächten, eine Folge von Hegemonien vor. Die Faszination dieser Vision ließ erst dann allmählich nach, als der sächsische politische Philosoph Samuel Pufendorf im 17. Jahrhundert erstmals behauptete, dass die Zeit der Römer vorbei sei. Er bestritt, dass das Heilige Römische Reich deutscher Nation die Fortsetzung des alten römischen Reiches sei. Damit stellte er den Einfluss der Geschichte auf die Offenbarung infrage.

Für Samuel Pufendorf war nicht die diachrone Abfolge der Reiche das Wesentliche an der Geschichte, sondern die synchronen Beziehungen zwischen ihnen. Dazu zählte er Bündnisse, Konflikte und Kriege. Die Beziehungen unter den Mächten sein, so argumentierte Pufendorf, naturgemäß chaotisch und unberechenbar. Denn die Interessen eines jeden Territorialstaats verändern sich fortwährend entsprechend den Verschiebungen im bestehenden Kräftegleichgewicht. Quelle: „Gefangene der Zeit“ von Christopher Clark

Von Hans Klumbies