Macht kann aktiv oder passiv wirken

Es gibt die sehr eingängige Vorstellung, dass soziale Macht eine Fähigkeit ist, die Menschen als soziale Akteure haben, um den Verlauf der Dinge in der Gesellschaft zu beeinflussen. Miranda Fricker hält zunächst einmal fest, dass Macht aktiv oder passiv wirken kann: „Zwischen aktiver und passiver Macht besteht ein Abhängigkeitsverhältnis. Denn die passive Macht schwindet im gleichen Maße, in dem die aktive Macht schwindet.“ Ein zweiter Punkt ist folgender: Macht ist eine Fähigkeit, die auch in jenen Zeiten Bestand hat, in denen sie nicht ausgeübt wird. Michel Foucault behauptet bekanntlich: „Macht existiert nur in actu.“ Miranda Fricker ist Professorin für Philosophie an der New York University, Co-Direktorin des New York Institute für Philosophy und Honorarprofessorin an der University of Sheffield.

Macht kann auch rein strukturelle Formen annehmen

Macht lässt sich also als Fähigkeit von sozialen Akteuren – Individuen, Gruppen oder Institutionen – betrachten, die sie gegenüber anderen sozialen Akteuren ausüben. Diese Macht bezeichnet man oft als dynamisch. Denn sie setzt eine Partei, die Macht ausübt, in Beziehung zu einer anderen Partei, deren Handlungen entsprechend beeinflusst werden. Man kann sich aber auch vorstellen, dass diese Macht viele Parteien beeinflusst. Deshalb konzentriert sich Miranda Fricker auf das Wesentliche: „Nämlich darauf, dass diese Art von Macht von einem handelnden Subjekt ausgeübt wird. Nennen wir sie also Handlungsmacht.“

Im Gegensatz dazu kann Macht auch rein strukturell wirken, sodass es keinen Handelnden gibt, der sie ausübt. Es kann sein, dass eine Gruppe innerhalb der Gesellschaft vom Wahlreicht ausgeschlossen ist. Aus welchen komplexen gesellschaftlichen Gründen auch immer, nimmt sie in der Regel nicht an Wahlen teil. Miranda Fricker erläutert: „Kein sozialer Akteur und keine Instanz schließen die Angehörigen dieser Gruppe aktiv vom demokratischen Prozess aus, und doch sind sie ausgeschlossen.“

Manchmal funktioniert soziale Macht ohne ein Subjekt

In einem solchen Fall scheint die auf das Verhalten dieser Personen einwirkende Macht umfassend in der Gesellschaftsstruktur verteilt zu sein. Man kann davon ausgehen, dass diese Macht kein besonderes Subjekt hat. Michel Foucault liefert in seinen Werken historische Beispiele für eine rein strukturelle Wirkungsweise von Macht. Es ist bei rein struktureller Machtausübung durchaus angebracht, die Menschen eher als „Träger“ von Macht zu betrachten und nicht als deren Subjekte oder Objekte.

Miranda Frickler stellt fest: „Denn in solchen Fällen funktioniert die Fähigkeit der sozialen Macht ohne ein Subjekt – die Fähigkeit verteilt sich über die gesamte Gesellschaft.“ Doch auch bei der Ausübung von Handlungsmacht ist Macht bereits ein strukturelles Phänomen, da sie immer abhängig ist von der praktischen Koordination mit anderen sozialen Akteuren. Jede Machtausübung hängt von einem funktionierenden gesellschaftlichen Miteinander ab. Nämlich von gemeinsamen Institutionen, geteilten Bedeutungen und Erwartungen und so weiter. Quelle: „Epistemische Ungerechtigkeit“ von Miranda Fricker

Von Hans Klumbies