Michael J. Sandel stellt die Ökonomie der Anreize vor

Paul Samuelson definierte das Wesen der Volkswirtschaftslehre über ihren traditionellen Gegenstandsbereich. Seine Wirtschaftstheorie befasst sich mit der Welt der Preise, Löhne, Zinssätze, Aktien und Schuldscheine, Steuern und Ausgaben. Seine Ökonomie hatte eine konkrete und genau umrissene Aufgabe: Sie sollte erklären, wie Rezession, Arbeitslosigkeit und Inflation zu vermeiden sind, wie eine hohe Produktivität aufrechtzuerhalten ist und wie der Lebensstandard der Menschen gerechter gestaltet werden kann. Heute ist die Volkswirtschaftslehre laut Michael J. Sandel ziemlich weit von ihren Forschungsgegenständen abgekommen. Als Beispiel nennt der Moralphilosoph die Definition einer neuen Wirtschaftslehre von Gregory Mankiw, der schreibt: „Was Ökonomie bedeutet ist kein Geheimnis. Eine Ökonomie oder Volkswirtschaft ist einfach eine Gruppe von Menschen, die miteinander interagieren, während sie ihr Leben leben.“ Michael J. Sandel ist politischer Philosoph, der in Oxford studiert hat und seit 1980 in Harvard lehrt. Seine Vorlesungen über Gerechtigkeit machten ihn zu einem der bekanntesten Moralphilosophen der Gegenwart.

Die Diskussion über Anreize beherrscht die moderne Wirtschaftswissenschaft

Eines der wichtigsten Prinzipien, die Gregory Mankiw vertritt, ist, dass Menschen auf Anreize reagieren. Laut Michael J. Sandel hat die die Diskussion über Anreize in der modernen Wirtschaftswissenschaft dermaßen um sich gegriffen, dass sie mittlerweile einen guten Teil der Disziplin beherrscht. So erklärt zum Beispiel Stephen D. Levitt, Ökonom an der University of Chicago, dass Anreize der Eckpfeiler des modernen Lebens sind und dass Ökonomie im Kern eine Untersuchung über die Wirkung von Anreizen ist.

Für Michael J. Sandel ist die Sprache der Anreize eine jüngere Entwicklung des ökonomischen Denkens. Der Moralphilosoph erklärt: „Konzipiert man die Wirtschaftswissenschaft als Untersuchung von Anreizen, folgt daraus mehr als nur die Ausweitung des ökonomischen Denkens auf das Alltagsleben – der Ökonom wird dadurch auch in eine aktive Rolle versetzt.“ Anreize werden von Ökonomen entworfen, bearbeitet und in der Welt verbreitet.

Die Ökonomie der Anreize ist das ferne Echo der Metapher von Adam Smith

Laut Steven D. Levit lieben es die Ökonomen, sich Anreize auszudenken, sie einzusetzen, sie zu studieren und daran herumzubasteln. Der typische Ökonom glaubt seiner Meinung nach, dass die Welt noch kein einziges Problem erfunden hat, welches nicht zu lösen wäre, wenn er nur freie Hand hätte. Seine Lösung mag vielleicht nicht immer schön sein, da sie Zwang, außerordentlich hohe Strafen oder die Verletzung von Bürgerrechten mit einschließen kann – aber das Problem wird dadurch gelöst.

Die Ökonomie der Anreize ist für Michael J. Sandel das ferne Echo der Metapher von Adam Smith, der die Selbstregulierung des Marktes als das Wirken einer unsichtbaren Hand beschreibt. Michael J. Sandel schreibt: „Sobald Anreize erst einmal zum Eckstein des modernen Lebens geworden sind, erscheint der Markt als die harte Hand, die zudem noch manipulativ ist.“ Laut Steven D. Levit ergeben sich die meisten Anreize allerdings nicht von selbst. Das heißt, ein Ökonom, ein Politiker, ein Vater oder eine Mutter muss sie erfinden.

Von Hans Klumbies

 

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