Im 19. Jahrhundert wurde London zur reichsten Stadt der Welt

Kein Jahrhundert hat das Leben in den Städten Westeuropas so sehr verändert wie das neunzehnte. London, die Hauptstadt der Engländer und ihr großer Fluss- und Seehafen an der Themse, wandelte sich zuerst, schneller als die Konkurrenz und wuchs an Umfang und Einfluss rascher als die anderen Städte. Manche Historiker nennen das 19. Jahrhundert deshalb auch das Jahrhundert Londons. England stieg damals zu einer Stellung in der Welt auf, die in keinem Verhältnis zur Größe seines geographischen Territoriums stand. England wurde durch die industrielle Revolution, die bereits im 18. Jahrhundert begonnen hatte und Vorherrschaft in Produktion, Handel und Finanzwirtschaft sicherte, zur Werkstatt der Welt. In Übersee ließen freizügige Auswanderung und reger Handel das britische Kolonialreich ständig wachsen. London galt damals als Mittelpunkt eines Reiches, in dem die Sonne nicht unterging.

Der Reichtum in London war weitgehend in der Hand der neuen Mittelklasse

London sammelte und konzentriere die wachsende wirtschaftliche und politische Macht des britischen Nationalstaats und Weltreichs in einer Intensität und einem Ausmaß, wie es keiner anderen Hauptstadt der mit Großbritannien rivalisierenden Länder möglich war. In London entwickelte sich auch die demokratische Tradition Englands, die in ihrer Dynamik für das 19. Jahrhundert beispielhafte Bedeutung erlangen sollte. Im Verlaufe der 19. Jahrhunderts wurde London zur reichsten Stadt der Welt.

Dieser Reichtum war fließend, nicht feudal, sondern kommerziell und weithin in der Hand der neuen Mittelklasse, einer Gesellschaftsschicht, die von den reichen Bankiers und Kaufleuten über die akademischen Berufe bis zu den kleinen Ladenbesitzern reichte. Die Mentalität dieser Geschäftswelt, ihre Umsicht und kühle Besonnenheit, bestimmt vor allem während des 19. Jahrhunderts, in dem sie absolut vorherrschend war, das soziale Leben in London. Die Anfänge dieser sozialen und wirtschaftlichen Umschichtung zeigten sich bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts.

England wollte sich die Kontrolle der Welt in allen Bereichen des Lebens aneignen

Im 19. Jahrhundert verbreitete sich in London unter den führenden Kräften des gesellschaftlichen und politischen Lebens die Meinung, dass man am besten aus eigener Kraft, ohne König, Kirche oder Vorsehung, über sein persönliches Wohl entscheiden könne, und dass zudem eine unsichtbare Hand wie der Ökonom Adam Smith sagte, mit Sicherheit die egoistischen Neigungen des einzelnen in die natürliche Harmonie des allgemeinen Wohls aufgehen lasse.

Viele Engländer und Londoner im Besonderen strebten nach größerem Wohlstand, nach erhöhtem Komfort und gesteigertem Glück, nach Erleichterung der Mühen, der Leiden und der Armut, nach erweiterten Kraftquellen, nach größerem Wissen, kurz nach Beherrschung und Kontrolle der Welt in allen Bereichen des Lebens. Nützlichkeit, Profit und das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl an Menschen waren die eindeutig vorherrschenden Programmpunkte des neuen Zeitgeistes.

Von Hans Klumbies