Ein gebildeter Mensch kann in der Gegenwart nicht glücklich sein

Die Bildung zählt nicht nur zu den wichtigsten Ressourcen rohstoffarmer Länder, sondern erfüllt auch die Bedürfnisse der Wirtschaft nach kompetenten und hochqualifizierten Arbeitskräften. Außerdem gleicht die Bildung nicht nur die sozialen Unterschiede der Menschen und die Nachteile der Migranten aus, sondern ist auch eine beständige Quelle des Glücks für den Einzelnen. Die Bildung ist in vielen Fällen auch die Voraussetzung für ein erfülltes, selbstbestimmtes und gelingendes Leben. Konrad Paul Liessmann schreibt: „Nur der Gebildete weiß seine Chancen zu nutzen, die Herausforderungen anzunehmen und seinen Leben einen zukunftsorientierten Sinn zu verleihen.“ Wenn es noch in einem klassischen Sinn humanistische gebildete Menschen gäbe, könnte diese dann glücklich sein, oder müsste ihre Bildung nicht viel mehr als eine Quelle des Unglücks erscheinen? Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

Ein Gebildeter erkennt die Phrasen und Euphemismen der Politik

Denn wie sollten gebildete Menschen glücklich sein in einer Welt, die sie nicht mehr versteht und die alles verachtet, was ihnen wichtig ist wie die toten Sprachen, der Kanon der klassischen Literaturen, profunde Kenntnisse der Geschichte, ein eurozentrisches Weltbild, das an den Idealen der Aufklärung festhält, ohne deshalb die antiken und religiösen Wurzeln dieser Kultur zu vergessen oder zu verachten. Ebenso wichtig ist einem humanistisch Gebildeten eine ästhetische Sensibilität, die Wertschätzung einer elaborierten Sprache, die am Stil und der Rhetorik der klassischen Vorbilder orientiert ist.

Ein gebildeter Mensch erkennt an den Phrasen und Euphemismen der Politik, der Werbung und der Medien sofort deren Oberflächlichkeit, Verlogenheit und Gemeinheit. Friedrich Nietzsche schrieb: „Der Gebildete entwickelt einen veritablen Ekel vor den Falschheiten dieser Welt, vor allem vor der Sprache des Journalismus, einer Sprache, der mittlerweile niemand mehr entgehen kann und die durch die Gebote der politischen Korrektheit noch zusätzlich verhunzt wird.“ Kann man einen Menschen, der Tag für Tag vom Ekel geschüttelt wird, glücklich nennen?

Der Bildungssuchende wird sich als fremdbestimmt erfahren

Aber auch wenn man den Bildungsbegriff modernisiert und, wie gerne geschehen, auf die Beherrschung der aktuell notwendigen Kulturtechniken und eine anspruchsvolle berufliche Ausbildung reduziert, will sich das Glück nicht so recht einstellen. Konrad Paul Liessmann schreibt: „Denn wie sollten wir jemanden als glücklich bezeichnen, der ständig aufgefordert wird, seinen Skills zu schulen und Kompetenzen zu erwerben, um im Wettbewerb bestehen zu können, der alles, was ihn neugierig machen könnte, auf seine Verwertbarkeit überprüfen muss.“

Ständig hört der Bildungssuchende, wie viel an Bildungsballast er abwerfen solle, um für das Neue gerüstet zu sein, täglich spürt er, dass die Entwicklung und Entfaltung seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten nur dem Ziel der ökonomischen Rentabilität dienen. Deshalb wird er sich immer als fremdbestimmt erfahren. Der einzige Trost für ihn ist, dass vielleicht die Chancen auf einen Arbeitsplatz oder auf die richtige Platzierung einer Ich-AG auf diese Weise halbwegs intakt bleiben. Das ist aber schon alles und richtig traurig.

Von Hans Klumbies