Bislang sind Wissenschaftler davon ausgegangen, dass Glück vor allem von materiellen Faktoren wie Wohlstand, Ernährung und Gesundheit abhängt. Je reicher und gesünder die Menschen sind, umso glücklicher sind sie auch, so die weit verbreitete Logik. Dieser Zusammenhang ist jedoch keinesfalls erwiesen. Yuval Noah Harari erklärt: „Philosophen, Priester und Dichter haben sich seit Jahrtausende lang den Kopf über das Glück zerbrochen und sind oft zu dem Schluss gekommen, dass gesellschaftliche, ethische und spirituelle Faktoren weit größere Auswirkungen auf unser Glücksempfinden haben als unsere materiellen Umstände.“ In den letzten Jahrzehnten haben Forscher mit der wissenschaftlichen Untersuchung des Glücks und seiner Ursachen begonnen. Zunächst muss dabei allerdings geklärt werden, was in einem solchen Zusammenhang überhaupt gemessen werden soll. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.
Arme Menschen sind bei höherem Einkommen zufriedener
Die meisten Forscher definieren Glück als „subjektives Wohlbefinden“. Yuval Noah Harari ergänzt: „Demnach ist das Glück ein subjektives Gefühl hinsichtlich meiner unmittelbaren oder langfristigen Befindlichkeit.“ Aber wie lässt sich so ein Gefühl objektiv messen? Psychologen und Biologen gehen davon aus, dass sie einfach danach fragen können und deshalb ermitteln sie das subjektive Glücksempfinden mithilfe von Fragebögen. Eine interessante Erkenntnis der Glücksforscher ist, dass Geld tatsächlich glücklich macht. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt.
Für arme Menschen bedeutet mehr Einkommen tatsächlich mehr Zufriedenheit. Untersuchungen zeigen allerdings auch, dass sich zusätzliches Geld langfristig nicht auf die Zufriedenheit auswirkt. Eine weitere interessante Erkenntnis ist laut Yuval Noah Harari folgende: Eine Krankheit beeinträchtigt zwar kurzfristig das subjektive Wohlbefinden, verursacht aber nur dann langfristiges Leid, wenn sich der Gesundheitszustand weiter verschlechtert oder die Krankheit mit dauerhaften und starken Schmerzen verbunden ist.
Eine gute Ehe stärkt die Lebenszufriedenheit
Die Familie und das soziale Netz wirken sich deutlich stärker auf das menschliche Wohlbefinden aus als Geld und Gesundheit. Yuval Noah Harari fügt hinzu: „Menschen in starken Familien und in einem funktionierenden sozialen Netzwerk sind deutlich glücklicher als Menschen in dysfunktionalen Familien und ohne soziales Netzwerk.“ Besonders wichtig ist dabei die Ehe. Untersuchungen haben wiederholt den Zusammenhang zwischen einer guten Ehe und großer Lebenszufriedenheit beziehungsweise zwischen einer schlechten Ehe und geringer Lebenszufriedenheit aufgezeigt.“
Yuval Noah Harari hegt die Vermutung, dass der Zuwachs an Wohlbefinden, der durch die gewaltige Steigerung des materiellen Lebensstandards in den letzten beiden Jahrhunderten zustande kam, durch den Zusammenbruch der Familie und der Gemeinschaft mehr als aufgezehrt worden sein könnte. In diesem Fall wäre der westliche Durchschnittsbürger heute nicht glücklicher als im Jahr 1800. Selbst die heute so geschätzten Freiheiten könnten sich in einer individuellen Glücksbilanz negativ auswirken. Zwar haben die meisten Menschen bei der Wahl ihres Lebensweges immer mehr Möglichkeiten zur Auswahl, aber gleichzeitig fällt es ihnen immer schwerer, sich festzulegen und Verpflichtungen einzugehen.
Von Hans Klumbies