Konrad Paul Liessmann kennt die Kraft der Fiktion

Alle Formen der Höflichkeit beruhen auf einer Fiktion, auf einem „So tun als ob“. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Wir tun so, als ob es uns interessierte, wie es einem anderen geht, wie dessen Urlaub war, was seine Kinder machen. Täten wir nicht so als ob, hätten wir einander entweder nichts oder viel zu viel zu sagen.“ Dass man so tut als ob, und dass dabei alle mitspielen, ist die Vorbedingung dafür, dass Menschen in eine produktive Interaktion treten können. Man muss einander ein wechselseitiges Interesse unterstellen, damit man seine tatsächlichen Interessen zur Sprache bringen kann. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

Die soziale Kommunikation lebt von einem „Als ob“

Der Philosoph Hans Vaihinger hat schon im späten 19. Jahrhundert untersucht, in wie vielen Formen dieses „Als ob“ wesentliche Aufgaben zu erfüllen hat. Der gesamte Bereich der sozialen Kommunikation lebt von solch einem „Als ob“. Hans Vaihinger schreibt: „Das „Als ob“ ist also auch im praktischen Leben unentbehrlich: ohne solche Fiktionen ist kein feineres Leben möglich.“ So tun als ob. Was auf den Eid sowie auf „unsere Damen und Herren“ zutrifft, gilt im Grunde für jedes Wort, für jeden Begriff.

Es handelt sich dabei um Abkürzungen und Abstraktionen. Ausgedacht, nicht um die Wirklichkeit exakt beschreiben zu können, sondern um in dieser die Orientierung nicht zu verlieren. Gegen jeden Allgemeinbegriff kann mit Recht immer eine Facette der Wirklichkeit ins Spiel gebracht werden, die von diesem ignoriert wird. Konrad Paul Liessmann betont: „Aber ohne Allgemeinbegriffe können wir weder denken noch leben. Man kann diese deshalb höchstens aufgrund pragmatischer Erwägungen austauschen. Verhindern kann man generalisierende Bezeichnungen nicht.“

Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen

Jeder Begriff muss den Reichtum des Seienden aufs Äußerste verknappen, um seine Funktion erfüllen zu können. Erst das Ausstreichen jeder Besonderheit an einem wahrgenommenen Gegenstand erlaubt es, das Wort, das man dafür fand, für andere, mehr oder weniger ähnliche Gegenstände zu verwenden. Friedrich Nietzsche schreibt: „Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen. Erkenntnis ist Fälschung des Vielartigen und Unzählbaren zum Gleichen, Ähnlichen, Abzählbaren.“

Fälschung ist für Konrad Paul Liessmann ein hartes Wort, denn es unterstellt eine bewusste Täuschungsabsicht: „Bleiben wir bei der Fiktion, bei einem „So als ob“. Das dieses eine Lebensnotwendigkeit darstellt, hat schon vor Nietzsche niemand Geringerer als Immanuel Kant vermutet.“ Immanuel Kant kommt zu einer verblüffenden Überlegung: „Ein jedes Wesen, das nicht anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum, in praktischer Rücksicht, wirklich frei.“ Quelle: „Als ob!“ von Konrad Paul Liessmann im 24. Philosophicum Lech „Als ob!“

Von Hans Klumbies