DNA und Umwelt formen das persönliche Schicksal

Ein Mensch kommt mit seinen natürlichen Triebkräften des Bedürfnisses nach Sicherheit und Reproduktion ausgestattet zur Welt. Doch die Evolution hat ihm eine Reihe Einstellknöpfe zur Feinabstimmung mitgegeben, die zunächst in einer Grundposition stehen, aber durch frühe Erfahrungen so variiert werden können, dass sie genauer die spezifischen Gegebenheiten des häuslichen und örtlichen Umfelds reflektieren, unabhängig von den zeitlich weit entfernten und sich nur langsam bewegenden Kräften der Evolution. John Bargh weiß: „Der Prozess der natürlichen Selektion verläuft sehr schleppend. Unsere angeborene genetische Anpassung an unsere Welt rührt aus einer sehr, sehr fernen Zeit her. Die Evolution kann mit schneller ablaufenden Veränderungen nicht Schritt halten, etwa mit den heutigen technischen Errungenschaften und deren gesellschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten.“ Prof. Dr. John Bargh ist Professor für Psychologie an der Yale University, wo er das Automaticity in Cognition, Motivation, and Evaluation (ACME) Laboratory leitet.

Die biologischen Evolutionsprozesse finden im Schneckentempo statt

Die menschliche Kultur und die Normen des Sozialverhaltens der Menschen verändern sich viel schneller als der biologische Evolutionsprozess, der im Schneckentempo stattfindet. John Bargh erläutert: „Deshalb befinden wir uns im epigenetischen Stadium der Anpassung, in dem Anlage und Umwelt zusammentreffen und die Erfahrung bestimmte Verhaltens- und physiologische Schalter in unseren Genen entweder umlegt oder nicht.“ Diese nachhaltig prägende Periode, wenn sich Kleinkinder rasch auf ihre Bezugspersonen abstimmen und später auf ihre Gemeinschaft und Kultur im weiteren Sinne, ist von überragender Bedeutung für die erfolgreiche Entwicklung eines Individuums.

Der neue Wissenschaftszweig der Epigenetik beschäftigt sich mit der Frage, wie dieser Prozess im Gehirn und im Körper abläuft. John Bargh fasst die Erkenntnisse der Epigenetik wie folgt zusammen: „ Wir werden zu dem, was wir sind, nicht allein durch unsere DNA und auch nicht allein durch unsere Umwelt, sondern durch die Interaktion dieser beiden Faktoren. Das Zusammenspiel von Genen und Erfahrung, von unserer vergessenen evolutionären Vergangenheit und unserer früher gelebten Vergangenheit, formt unser persönliches Schicksal.“

Wärme und Nähe vermitteln Sicherheit

Wie die Dynamik der menschlichen Bindung verdeutlicht, benötigt der Mensch nach der Geburt eine zusätzliche Modulierung und Feinabstimmung. Jeder kommt mit einer naturgegebenen Ausstattung in Form angeborener Neigungen, Antriebe und Ziele auf die Welt, die bis zu einem gewissen Grad die allgemeinen Bedingungen eines Lebens vorwegnehmen. Doch dann übernimmt die Umwelt das Regime und passt einen Menschen an die tatsächlichen Bedingungen vor Ort an. Die angeborenen Möglichkeiten werden auf die Realitäten der Umwelt abgestimmt, vor allem während der ersten, erinnerungslosen Jahre.

Der britische Pionier auf dem Gebiet der Bindungsforschung, John Bowlby, erkannte als einer der Ersten, dass das körperliche Wärmegefühl im frühen Leben mit dem Gefühl von Sicherheit verbunden ist, das Gefühl von Kälte hingegen mit dem Gefühl von Unsicherheit. Vor allem bei Säugetieren, die ihren Nachwuchs stillen, geht die Erfahrung, genährt, gehalten und geschützt zu werden, mit der körperlichen Erfahrung von Wärme und Nähe einher. Weil diese beiden Dinge stets gemeinsam auftreten, werden sie vom Gehirn als natürlich miteinander verknüpft angesehen. Quelle: „Vor dem Denken“ von John Bargh

Von Hans Klumbies