Prognosen sind ein Stochern im Nebel der Zukunft

Sogar die Wirtschaftswissenschaften beruhen auf der Vorstellung „offenbarter Präferenzen“. Was Leute denken, spielt für Nassim Nicholas Taleb keine Rolle, denn er will es sich ersparen, in die matschweiche, in sich selbst verschlungene Fachrichtung der Psychologie vorzudringen. Die „Erklärungen“, die Leute für das abgeben, was sie tun, sind nur Worte, Geschichten, die sie sich selbst erzählen und haben seiner Meinung nach mit eigentlicher Wissenschaft nichts zu tun. Andererseits ist das, was Menschen machen, dinghaft und messbar, und darauf sollte man sich konzentrieren. Dieses Axiom – womöglich könnte man es sogar ein Prinzip nennen – ist äußerst wirkmächtig, allerdings wird es von Forschern nicht sonderlich eifrig befolgt. Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, philosophischer Essayist, Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall sowie einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart.

Grottenschlechte Prognostiker können reich sein

Die Offenbarung von Präferenzen wird am besten von Verlobten verstanden: Ein Diamant, vor allem, wenn er eine finanzielle Belastung für den Käufer darstellt, ist eine sehr viel überzeugendere Verpflichtung als ein verbales Versprechen. Nassim Nicholas Taleb rät: „Was Prognosen betrifft – vergessen Sie´s. Prognosen durch Wörter haben keine Beziehung zu Spekulationen durch Taten.“ Nassim Nicholas Taleb kennt persönlich reiche, grottenschlechte Prognostiker und arme „gute“ Prognostiker.

Seiner Meinung nach kommt es im Leben nicht darauf an, wie oft man hinsichtlich bestimmter Ergebnisse „recht“ hat, sondern wie viel man dafür einstreicht, dass man recht hat. Sich zu irren, wenn es nichts kostet, zählt nicht – das ähnelt in gewisser Weise den Mechanismen des Versuchs und Irrtums der Forschung. Belastungen im echten Leben, jenseits von Spielen, sind grundsätzlich so kompliziert, als dass man sie auf ein sauber definiertes, leicht zu umschreibendes „Ereignis“ reduzieren könnte.

Auch mit etwas Dummen kann man sehr viel Geld verdienen

Viele Belastungen sind in einem hohen Maße nicht linear: Man kann von Regen profitieren, aber nicht von einer Sturmflut. Prognostik ist laut Nassim Nicholas Taleb, vor allem, wenn sie als „Wissenschaft“ betrieben wird, häufig das letzte Refugium des Scharlatans, und so war es schon seit Menschengedenken. Die meisten Menschen wissen allerdings, was offensichtlich irrational ist: etwas, das erstens das Überleben des Kollektivs und zweitens das des Individuums gefährdet. Und vom statistischen Standpunkt aus gesehen ist es irrational, gegen die Natur anzugehen.

Per definitionem kann etwas, das funktioniert, nicht irrational sein; so ziemlich jede einzelne Person, die Nassim Nicholas Taleb kennt und die in geschäftlichen Angelegenheiten chronisch auf die Nase fällt, leidet unter diesen mentalen Blockade, der Weigerung zu akzeptieren, dass wenn etwas Dummes funktioniert – und man damit Geld verdienen kann –, es nicht dumm sein kann. Rational ist, was es dem Kollektiv – Einheiten, die auf eine lange Lebensdauer angelegt sind – ermöglicht zu überleben. Quelle: „Das Risiko und sein Preis“ von Nassim Nicholas Taleb

Von Hans Klumbies