Die bloße Flusslänge sagt wenig aus

Josef H. Reichholf rückt einen Aspekt in den Vordergrund, über den die bloße Flusslänge wenig aussagt. Es ist dies das Einzugsgebiet. Kein Fluss „beginnt“ einfach an der entferntesten Quelle. Dort treten seine Wasser lediglich mit der größten Entfernung zur Mündung zutage. Josef H. Reichholf fügt hinzu: „In dieser und in vielen anderen Quellen ist der buchstäblich in Erscheinung tretende Fluss die Fortsetzung von Wasser, der sich als Grundwasser in einem Becken sammelt. Dieses kann die unterschiedlichsten Formen haben.“ Geografisch lässt es sich durch die sogenannten Wasserscheiden abgrenzen. Diese lassen sich als Linie darstellen. Sie schließt den gesamten Bereich ein, aus dem Wasser zu einem Fluss oder einem Flusssystem strömt. Josef H. Reichholf lehrte an der Technischen Universität München 30 Jahre lang Gewässerökologie und Naturschutz.

Die Flüsse gleichen einem System von Adern

Auch oberirdisch fließ das Wasser über direkten Abfluss hinein in die Gräben und Bäche. Das ist dann der Fall, wenn es stark geregnet hat und die Böden nicht den gesamten Niederschlag aufnehmen können. Die Flüsse und ihr Einzugsgebiet hat man daher häufig so dargestellt, dass sie einem System von Adern gleichen, die sich, in feinsten Kapillaren beginnend, zu einer Hauptader hin vereinigen. Was diese „abführt“, also entwässert in der formal bildhaften Darstellung, ist der Fluss im geografischen Raum des Einzugsgebiets.

Ist dieses sehr groß, der Hauptfluss aber kurz, fallen die Schwankungen seiner Wasserführung entsprechend groß aus. Josef H. Reichholf erklärt: „Gewaltige Fluten können sich in kurzer Zeit zusammenballen und die Uferbereiche überschwemmen. Anders verhält es sich, wenn das Einzugsgebiet im Verhältnis zur Flusslänge klein ist. Dann werden die Fluten kalkulierbarer.“ Wie am Nil, wo die bei Weitem ausgiebigsten Niederschläge im fernen Äthiopischen Hochland fallen.

Bewegtes Wasser formt die Erdoberfläche

Manche Flusstäler sehen für uns viel zu groß aus für die tatsächliche Dimension des Flusses, der sie durchströmt. Die heutigen Täler sind das Ergebnis ihres früheren Wirkens, als die Flüsse viel größer gewesen waren. Elbe und Oder beispielsweise passen in ihrer gegenwärtigen Dimension nicht zu ihren aus der Eiszeit stammenden Urstromtälern. Aber auch manche Alpentäler sehen viel zu gewaltig aus, bezogen auf den Wildbach, der aus ihnen herausschießt.

Bewegtes Wasser formt die Erdoberfläche in starkem Maße. Dass fließendes Wasser dies tut und als „Zahn der Zeit“ nagt, sehr wohl auch an hartem Fels, ist vielen Menschen geläufig. Wird irgendwo Bodenmaterial in größerer Menge aufgeschichtet, erzeugen daran Starkregen durch Abschwemmung eindrucksvolle Strukturen. Josef H. Reichholf stellt fest: „Sie gleichen Flusssystemen. Aus kleinsten Vertiefungen von oben und schräg von den Seiten her streben die Einkerbungen zu einem Muster zusammen, die wie eine einfache kartografische Darstellung von Flusssystemen aussieht.“ Quelle: „Flussnatur“ von Josef H. Reichholf

Von Hans Klumbies