Ein Sturm aus Wissen fegt über die Menschen

Bibliotheken sind Monumente der Ära des Wissens. Ihr Umfang lässt erkennen, dass über die Menschen ein Sturm aus Wissen hereingebrochen ist, mit dem sie erst lernen müssen zu leben. Ille C. Gebeshuber fügt hinzu: „Um in der Welt des Wissensüberangebots zu überleben, haben die modernen Menschen sich anpassen müssen. Sie haben dazu spezielle Strategien entwickelt. Die wichtigste davon ist das Ausblenden von Informationen.“ Zudem haben viele Menschen gelernt, sehr schnell und selektiv zu lesen. Eine Kunst, die nicht einfach ist und dabei auch in Kauf nimmt, dass so manches übersehen wird. Fehlen dann Informationen, ist dies oft kein Problem, denn die heute gezielte Suche im Internet fördert sie schnell zu Tage. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

Das meiste Wissen lernt man nicht mehr fürs Leben

Die Diskrepanz zwischen dem, was der Einzelne wissen muss, und dem was er tatsächlich weiß, nimmt dennoch zu. Denn der Umgang mit Information hat heute nichts mehr mit dem klassischen Umgang mit Wissen zu tun. Das meiste Wissen in der sich schnell verändernden Gegenwart lernt man nicht mehr für das ganze Leben. Sondern es wird gezielt aufgenommen und hat ein Ablaufdatum. Lernen und Vergessen haben sich zu dynamisch miteinander verknüpften Prozessen entwickelt.

Das menschliche Gehirn mit seiner begrenzten Kapazität baut neues Wissen, je nach Priorität, in die vorhandene Wissensmatrix des Individuums ein. Zum Ausgleich vergisst man altes Wissen. Vor allem das, was subjektiv nicht wichtig scheint beziehungsweise was man in Zukunft vermeintlich nicht unbedingt benötigt. Die Reaktion der Menschen auf den gegenwärtigen Informationssturm findet in Form einer geringeren Verweildauer bestimmter Informationen in den Köpfen statt. Dabei unterscheidet das Gehirn zwischen relevanten Informationen und kurzfristigen Gebrauchsinformationen.

Vergessen ist für die geistige Flexibilität notwendig

Ille C. Gebeshuber weiß: „Das Vergessen von Gebrauchsinformationen setzt sehr schnell ein. Lediglich mit der Ausnahme, dass man auf rasche Wiederbeschaffungsmöglichkeit der Information achtet.“ Der Pfad zur Information ist im Zeitalter der Überinformation wichtiger als die Information selbst. Vergessen ist somit nicht mehr nur ein „Fehler“ im Speichern von Informationen. Sondern es ist ein für die geistige Flexibilität notwendiger Prozess.

Meinungen bilden sich nicht mehr auf Grund von Erfahrungen, sondern auf Grund von Informationen. Sie sind in einer Informationsgesellschaft durchaus volatil. Und die Blöcke, die das Denken der Menschen bestimmen können, sind mit geeigneten Methoden durchaus beeinflussbar. Und die Kenntnis der Pfade zum Wissen allein erlaubt noch keine dynamische Vernetzung der dort verfügbaren Informationen. Das klassische Nachdenken kann so nicht mehr stattfinden und viele Menschen nehmen dadurch Informationen ungefiltert auf. Vor allem, wenn der Empfänger der Herkunft der Information vertraut. Quelle: „Eine kurze Geschichte der Zukunft“ von Ille C. Gebeshuber

Von Hans Klumbies