Wir Karl Marx vor langer Zeit bemerkte, birgt Freiheit das Risiko, Ungleichheiten ungehindert gedeihen zu lassen. Catherine MacKinnon bringt diesen Zusammenhang auf den Punkt: „Freiheit der Gleichheit, Freiheit der Gerechtigkeit vorzuziehen, wird lediglich die Macht der Mächtigen weiter befreien.“ Freiheit kann also Gleichheit nicht übertrumpfen, weil Ungleichheit die Möglichkeit beeinträchtigt, frei zu sein. Eva Illouz stellt fest: „Wenn die Heterosexualität die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern organisiert und naturalisiert, können wir davon ausgehen, dass die Freiheit sich von einer solchen Ungleichheit nicht beunruhigen lässt, sondern sie gelassen hinnimmt und für das Natürlichste von der Welt hält.“ Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.
Die Freiheit hat die sexuellen Beziehungen von der moralischen Sprache entbunden
Die „negative Freiheit“, wie Isaiah Berlin sie bezeichnete, hat es immerhin ermöglicht, dass die Sprache und die Praktiken des Konsummarkts das Vokabular und die Grammatik der Subjektivität umgeschrieben haben. Dieselbe Sprache der Interessen, des Utilitarismus, der sofortigen Befriedigung, des egozentrierten Handelns, der Akkumulation, der Abwechslung und des Reichtums an Erfahrungen durchringt heute auch die romantischen und sexuellen Bindungen und verlangt folglich nach einer ernüchternden Analyse der Bedeutung und Auswirkungen von Freiheit.
Während Freiheit selbst ein mächtiger normativer Anspruch war, um sich der Institution von Zwangsehen oder lieblosen Ehen zu widersetzen, um das Recht auf Scheidung geltend zu machen, sein Geschlechts- und Gefühlsleben nach seinen eigenen Neigungen zu führen und allen sexuellen Minderheiten Gleichheit zu gewähren, kann man sich heute fragen, ob nicht dieselbe Freiheit die sexuellen Beziehungen von der moralischen Sprache entbunden hat, von der sie ursprünglich einmal durchdrungen waren. Beispielsweise indem sie sich der Sprache der Verpflichtung und Gegenseitigkeit entledigte, in der alle oder doch die meisten sozialen Interaktionen traditionell organisiert waren.
Durch die Freiheit bleiben emotionale Ungleichheiten unentdeckt
Eva Illouz schreibt: „So wie der zeitgenössische Monopolkapitalismus dem Geist des freien Tauschs widerspricht, der im Mittelpunkt der frühen Konzeptionen von Markt und Handel stand, so steht eine sexuelle Subjektivität im engen Kostüm der Konsum- und technologischen Kultur im Gegensatz zur Vision einer emanzipierte Sexualität als dem Herzstück der sexuellen Revolution.“ Denn eine solche Sexualität produziert am Ende zwanghaft genau die Denk- und Handlungsschemata, welche die Technologie und die Ökonomie zu den unsichtbaren Gestaltern der sozialen Bindungen machen.
In ihrer gegenwärtigen Form basiert die Heterosexualität auf Geschlechtsunterschieden, die zumeist als Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern funktionieren; die Heterosexualität organsiert diese Ungleichheiten in einem emotionalen System, das die Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg von Beziehungen der individuellen Psyche aufbürdet, und zwar vor allem jener der Frau. Freiheit führt dazu, dass emotionale Ungleichheiten unentdeckt bleiben und daher auch nicht thematisiert werden. Quelle: „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz
Von Hans Klumbies