Es gibt keine allgemein akzeptiere Definition von „Angst“

Die Analyse der historischen Bedeutung von Angst stützt sich auf einige grundlegende Einsichten einer neu konzipierten und neuerdings wieder zunehmend populären Geschichte der Emotionen. Dass Emotionen eine Geschichte haben, ist keineswegs neu und geht auf den programmatischen Aufsatz des französischen Historikers Lucien Febvre aus dem Jahr 1941 zurück, in dem er eine „Geschichte des Hasses, eine Geschichte der Angst, eine Geschichte der Grausamkeit, eine Geschichte der Liebe“, propagierte. Frank Biess erklärt: „Febvre Aufsatz war tief verwurzelt in dem zeitgenössischen Verständnis der Emotionen als „primitive, basale Kräfte in uns“, die er dann auch für den Aufstieg des Faschismus in Europa mitverantwortlich machte.“ Seit der Jahrtausendwende hat das Interesse an Emotionen in der internationalen geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung wieder deutlich zugenommen. Frank Biess ist Professor für Europäische Geschichte an der University of California, San Diego.

Das Phänomen „Angst“ zeichnet sich durch viele unterschiedliche Gefühlszustände aus

Allerdings gibt es keine allgemein akzeptierte Definition von „Emotionen“ überhaupt oder von spezifischen Emotionen wie „Angst“. In der Tat fallen unter das Phänomen „Angst“ so viele unterschiedliche Gefühlszustände, dass manche Forscher dazu neigen, den Begriff ganz aufzugeben. Andererseits operieren Individuen und Gesellschaften natürlich immer mit kulturellen Konzepten dessen, was „Angst“ bedeutet, auch wenn dieser Gefühlszustand nicht eindeutig definiert werden kann.

Frank Biess stellt fest: „Grundsätzlich bewegen sich Definitionen von Emotionen zwischen den Polen relativistischer sozialkonstruktivistischer Ansätze einerseits und universalistischer, neurobiologischer Ansätze andererseits.“ Sie betonen also entweder die historische und kulturelle Bedingtheit von Emotionen oder deren physiologische Basis, die unabhängig von Ort und Zeit ist. Frank Biess benennt einige wichtige Erkenntnisse der interdisziplinären Emotionsforschung, die sich als besonders nützlich für die Geschichte der Emotionen in der Nachkriegszeit erwiesen haben.

„Angst“ wird als vorbewusste physiologische Reaktion angesehen

Ein Aspekt bezieht sich auf die Betonung der kognitiven Aspekte von Emotionen, die auf die psychologischen „Appraisal-Theorien“ der 1960er Jahre zurückgehen. Deren Bedeutung bestand darin, den traditionellen kartesianischen Dualismus zwischen „Vernunft“ und „Emotionen“ zu überwinden. Emotionen erschienen nicht mehr als „das Andere“ der Vernunft, sondern waren eng mit kognitiven Prozessen wie der Entscheidungsfindung, der Gedächtnisbildung oder der Aufmerksamkeitsökonomie verbunden. Philosophen wie Martha Nussbaum oder Ronald de Sousa entwickelten Theorien, die Rationalität und Intentionalität von Emotionen betonen.

Der Aufstieg der Neurowissenschaften hat die Forschung zur kognitiven Dimension von Emotionen revolutioniert. Über bildgebende Verfahren wie Magnetresonanztomographie (MRI) versuchen Neurowissenschaftler die Wechselwirkung von kognitiven und physiologischen Faktoren bei der Erzeugung einer Emotion zu bestimmen sowie spezifische Emotionen in bestimmten Hirnregionen zu lokalisieren. „Angst“ wird beispielsweise als vorbewusste physiologische Reaktion gesehen, die von der Amygdala, einer Region im Gehirn, ausgeht und den Kortex als Ort der kognitiven Verarbeitung zunächst umgeht. Quelle: „Republik der Angst“ von Frank Biess

Von Hans Klumbies