Die Gier des Menschen ist älter als der Kapitalismus

Eckart Voland vertritt die These, dass die Gier eine natürliche Anlage des Menschen ist. Sie ist allerdings von Individuum zu Individuum unterschiedlich ausgeprägt und die Folgen sind verschieden. Bei der Gier geht es einem Menschen darum, seinen persönlichen Nutzen zu maximieren. Das ist für Eckart Voland eine Grundeigenschaft des Menschen. Der Biophilosoph würde allerdings nicht so weit gehen und sagen, dass der Kapitalismus durch seinen Konkurrenzgedanken die Gier im Menschen fördert. Denn die menschliche Gier ist älter als der Kapitalismus. Man muss seiner Meinung nach auch vorsichtig sein, dass man Gier nicht mit Ehrgeiz verwechselt. Eckart Voland ist Professor für Biophilosophie an der Universität Gießen und hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten unter anderem die Evolution des Gewissens analysiert.

Die Fähigkeit zur Kooperation zeichnet den Menschen aus

Vordergründig geht es dem Menschen nicht darum, den Homo sapiens zu erhalten, sondern darum, die eigenen Gene weiterzugeben. Eckart Voland erklärt: „Wer sich am besten an die Umwelt anpasst, kann am meisten Nachkommen großziehen. Ein entscheidender Trumpf für uns Menschen war, dass wir irgendwann bei der Kinderaufzucht kooperiert haben.“ Die Last wurde von der Mutter an eine andere, meist weibliche Verwandte delegiert. Dieses Stadium haben beispielsweise Schimpansen nie erreicht.

Nicht der aufrechte Gang oder der Verlust des Fells, wie die Forscher lange dachten, war der Vorteil der Menschen gegenüber den Primaten, sondern die Fähigkeit zur Kooperation. Eckart Voland gibt zu, dass es selbstverständlich auch im Tierreich Kooperationsbeispiele gibt, aber nur die Menschen haben die Zusammenarbeit perfektioniert. Eckart Voland erläutert: „Wir haben sogar den unglaublichen Trick erfunden, über Kooperation zu konkurrieren, etwa wenn wir uns zusammenschließen, um gegen das Nachbardorf zu kämpfen.“

Der Kapitalismus bedient den Nutzen- und den Marktgedanken

Als einziges Lebewesen auf der Erde besitzt der Mensch die Fähigkeit zur doppelten Moral. Das heißt: Solidarität nach innen, Aggressionsbereitschaft nach außen. Der Philosoph Thomas Hobbes sagt, der Mensch sei dem Menschen ein Wolf, während der große antike Denker Aristoteles behauptet, dass der Mensch ein soziales Wesen sei. Laut Eckart Voland haben beide in gewisser Weise recht. Die Konkurrenz kann unerbittlich sein, auch in kleinerer Gruppen, in denen sich alle kennen. Aber zugleich sind die Menschen in einem Ausmaß zur Kooperation fähig, zu Solidarität und Barmherzigkeit, die im Tierreich so nicht vorgefunden wird.

Jedes Wirtschaftssystem muss, wenn es stabil bleiben will, auf die Natur des Menschen Rücksicht nehmen. Der momentane Erfolg des Kapitalismus beruht auf folgendem: Er bedient den Nutzen- und den Marktgedanken. Die Fähigkeit, Märkte zu schaffen und zu nutzen, ist im Menschen angelegt. Eckart Voland weist darauf hin, dass sowohl der Sozialismus als auch der Kommunismus eine Grundbedingung der menschlichen Existenz, das Sozialdilemma, ignorieren: „Dass in einem Konflikt zwischen Eigennutz und Wohlfahrt des Ganzen mit größerer Wahrscheinlichkeit der Eigennutz gewinnt.“ Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies