Eine wichtige Triebkraft der europäischen Integration war das Bestreben der Europäer, sich gemeinsam in der Welt an der Spitze zu behaupten. Zusammen wollten die Staaten Europas weiter eine entscheidende Rolle als globale Macht spielen, die ein Einzelstaat nicht mehr ausfüllen konnte. Politisch ging es laut Dominik Geppert darum, sich als eigenständige diplomatische und geostrategische Kraft zu etablieren. Zunächst gegen die beiden Supermächte USA und Sowjetunion, in jüngster Zeit gegen den machtpolitischen Aufstieg Chinas. Wirtschaftlich stand anfangs vor allem das Ziel im Vordergrund, durch die Europäische Union ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen und im 21. Jahrhundert auch gegen aufstrebende Wirtschaftsmächte wie China und Indien bestehen zu können. Dominik Geppert ist seit 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.
Die Währungsunion hat Europa gespalten und die Europäische Union entkräftet
Den Unterlegenen des Zweiten Weltkriegs wie Deutschland oder Italien fiel die Umorientierung leichter als Frankreich oder Großbritannien, die sich nach 1945 weiter als Großmächte fühlten. Der Umschwung kam erst mit der Suez-Krise von 1956, als der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower den Regierungen in Paris und London unmissverständlich klar machte, wie klein ihr weltpolitischer Handlungsspielraum geworden war. Bundeskanzler Konrad Adenauer sagte damals, dass die einzelnen europäischen Staaten nie mehr führende Weltmächte sein werden.
Für Dominik Geppert stößt die Strategie der Weltgeltung durch europäische Einigung in der gegenwärtigen Krise so deutlich wie selten zu vor an ihre Grenzen. Der Historiker erklärt: „Statt Europa zu einigen und die Europäische Union zu stärken, hat die Währungsunion Europa gespalten und die Europäische Union entkräftet. Wer erwartet hatte, der Euro könne sich in Konkurrenz zum Dollar als eine neue Reservewährung mit globaler Ausstrahlung etablieren, sieht sich getäuscht.“
Als starker und einiger Akteur fällt die EU in ihrem gegenwärtigen Zustand aus
Zudem hat die Einführung des Euro dafür gesorgt, dass die Europäische Union derzeit in eine Eurozone und eine Nicht-Eurozone aufgespalten ist und dass sich darüber hinaus innerhalb des Euroraumes die Schuldner- und Gläubigerländer immer feindseliger gegenüber stehen. Dominik Geppert stellt fest: „Als starker und einiger Akteur fällt die EU in ihrem gegenwärtigen Zustand aus. Die Heterogenität der an der Währungsunion beteiligten Volkswirtschaften und ihre unterschiedlich geprägten Politiktraditionen haben Europa in der Welt nicht gestärkt, sondern eher geschwächt.“
Das europäische Modell von Demokratie, liberaler Gesellschaft, freier Marktwirtschaft und Sozialstaatlichkeit droht für Dominik Geppert durch die Folgen der Schuldenkrise seine Strahlkraft dauerhaft zu verlieren. Auch der Euro verliert an Vertrauen. Die europäische Währung wird zwar noch von vielen Industriestaaten gehalten, aber in den aufstrebenden Schwellenländern befindet sie sich eher auf dem Rückzug. Der Euro konnte trotz der exorbitanten Verschuldung der USA und der gigantischen Löcher im amerikanischen Haushalt nicht in die entstandene Lücke vorstoßen.
Von Hans Klumbies