Der Mensch hat sich von der Natur entfremdet

Während die Menschheit die Natur zerstört, boomt gleichzeitig der Markt, der ihre Schönheit feiert. Dirk Steffens und Fritz Habekuss erklären: „Bücher über Bäume haben das Zeug, Weltbestseller zu werden. Outdoor-Zeitschriften, Reiseblogs und High-End-Dokumentationen feiern in orgiastischen Bildern die Wildnis, wo es sie noch gibt.“ Diese Produkte sollen den Graben der Entfremdung überbrücken, der sich zwischen den Menschen und der Natur aufgetan hat. Während sich ihre Zerstörung immer weiter beschleunigt, wird die abstrakte Liebe zu ihr paradoxerweise immer größer. Inzwischen enthüllt die Biologie sogar, dass Umwelteinflüsse sogar das Erbgut verändern können. In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.

Alles Lebende fühlt und kommuniziert

Die Biologie entdeckt, dass Bäume miteinander kommunizieren. Die Menschen erfahren, dass Erdhummeln verärgert oder erfreut sein können. Und sie lernen, dass alles Lebende fühlt und kommuniziert, genau wie die Menschen, nur eben anders. Das ist faszinierend. Die Wissenschaft sagt: Die Menschheit ist umgeben von Existenzen, die eine Innenwelt haben, die denken, die fühlen. Die Menschen sind nicht allein auf der Erde. Eigentlich ein tröstlicher Gedanke, ein uralter sogar.

Für die meisten frühen Zivilisationen gab es keine Trennung zwischen der Welt des Menschen und derjenigen der Tiere. Die Schamanen der Maya und ägyptische Hohepriester konnten zwischen den Welten wandeln. Für Griechen und Römer wohnten Nymphen in Bäumen. Dichter der Romantik durchwanderten Wälder und Wiesen und gossen die Schönheit der Natur in Verse. Ludwig van Beethoven widmete der Schönheit der Landschaft von Wien eine ganze Symphonie.

Die Liebe ist der Schlüssel zur Verteidigung der Natur

Trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse sind drei Viertel aller Treibhausgase erst in den vergangenen drei Dekaden ausgestoßen worden. Heute wird nicht weniger Regenwald vernichtet als früher, sondern mehr. Die beste Verteidigung der Natur ist womöglich nicht die Berechnung ihres Preises, sondern das Staunen über sie. Dirk Steffens und Fritz Habekuss schreiben: „Wir müssen die Vernunft nutzen und überdies die Kraft der Gefühle aktivieren. Sie erstmal spüren, auch wenn sie widersprüchlich sind. Worte oder Bilder finden, darüber sprechen, ihnen folgen. Selbst und gerade dann, wenn sie dem rationalistischen Impuls widersprechen.“

Diese Fähigkeit unterscheidet den Menschen von allen Arten auf der Erde. Die Menschheit steht nicht über anderen Tieren und Pflanzen, sie ist mit ihnen verbunden. Diese Verbindung zu erkennen, zu verstehen und zu übersetzen ist der Schlüssel zur Verteidigung der Natur. Vielleich kann man es in einem Wort zusammenfassen. Man nennt es Liebe. In einem Bunker im Boden von West Sussex lagern Milliarden Samen, von mehr als 40.000 Arten, also von ungefähr einem Siebtel aller wilden Samenpflanzen auf der Erde. Nach dem Weltuntergang soll hier die nächste Zivilisation keimen. Quelle: „Über Leben“ von Dirk Steffens und Fritz Habekuss

Von Hans Klumbies

Schreibe einen Kommentar