Ohne Schemata würde Chaos herrschen

Ohne Schemata wäre das Leben der Menschen, in William James` berühmten Worten, ein „blühendes, brummendes Durcheinander“. Verfügten sie nicht über Schemata für Hochzeiten, Beerdigungen oder Arztbesuche, würden sie ständig ein Chaos anrichten. Dazu gehören implizite Regeln, wie man sich in solchen Situationen zu verhalten hat. Richard E. Nisbett fügt hinzu: „Diese Generalisierung betrifft auch unsere Stereotype oder Schemata in Bezug auf bestimmte Typen oder Personen. Dazu gehören „Introvertierte“, „Feierbiest“, „Polizeibeamter“, „Elitestudentin“, „Arzt“, „Cowboy“, „Pfarrerin.“ Solche Stereotype beinhalten Regeln über die übliche Art und Weise, wie man sich gegenüber Personen, die den Stereotyp verkörpern, verhält oder verhalten sollte. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort „Stereotyp“ oft abwertend verwendet. Richard E. Nisbett ist Professor für Psychologie an der University of Michigan.

Auf Stereotype sollte man sich nicht verlassen

Denn Stereotype sind mit zwei Problemen behaftet: Man kann sie in gewisser oder jeder Hinsicht falsch verstehen, und sie können das eigene Urteil über andere Menschen auf ungute Weise beeinflussen. Es ist traurig, aber wahr – man schätzt einen Menschen tatsächlich eher richtig ein, wenn man seine soziale Herkunft kennt. Im Allgemeinen trifft es beispielsweise zu, dass Kinder aus der oberen Mittelschicht bessere Schüler sind als Kinder aus der Unterschicht. Noch viel trauriger ist die Tatsache, dass ein Kind aus der Unterschicht von Beginn seines Lebens an mit zwei Handicaps zu kämpfen hat.

Erstens wird man von ihm weniger erwarten und verlangen, und zweitens bewertet man seine Leistungen negativer, als wenn es der oberen Mittelschicht angehören würde. Der Verlass auf Schemata und Stereotype bringt das schwerwiegende Problem mit sich, dass diese von beiläufig präsentierten Fakten ausgelöst werden können, die irrelevant oder irreführend sind. Richard E. Nisbett erklärt: „Jeder Reiz, der uns erreicht, bewirkt eine Aktivierungsausbreitung auf verwandte geistige Konzepte.“

Die gesamte Realität ist nur eine Deutung der Welt

Der Reiz strahlt vom zuerst aktivierten Konzept zu den Konzepten aus, die im Gedächtnis mit ihm verknüpft sind. Kognitionspsychologen haben folgendes herausgefunden: Die Konfrontation mit einem gegebenen Wort oder Konzept bewirkt, dass man verwandte Wörter oder Konzepte schneller erkennt. Diese Reize beeinflussen nicht nur die Geschwindigkeit, mit der man einen Wahrheitsgehalt überprüft, sondern auch die eigenen Überzeugungen und Verhaltensweisen. Die Interpretation der Natur und der Bedeutung von Ereignissen hängt massiv von den Schemata und den Folgerungsprozessen ab, die sie heraufbeschwören und steuern.

Die meisten Menschen neigen zu der Ansicht: „ Ich sehe die Welt, wie sie ist. Und deine andere Sichtweise ist deiner Kurzsichtigkeit, deinem verqueren Denken oder egoistischen Motiven geschuldet!“ Die gesamte „Realität“ ist allerdings nur eine willkürliche Deutung der Welt. Die Aktivierungsausbreitung macht einen Menschen empfänglich für alle Arten unerwünschter Beeinflussung seiner Urteile und Handlungen. Wörter, visuelle Reize, Geräusche, Gefühle und sogar Gerüche können beeinflussen, wie ein Mensch Objekte versteht und wie er sich ihnen gegenüber verhält. Quelle: „Einfach denken!“ von Richard E. Nisbett

Von Hans Klumbies