Die Familie ist ein Nest mannigfacher Widersprüche

Im Titelthema des neuen Philosophie Magazins 01/2017 dreht sich alles um die liebe Familie und um die Frage ob sie eher Zuflucht oder doch nur noch eine Zumutung ist. Anhänger der traditionellen Familie sehen in ihr ein Refugium, einen wärmenden Schutzraum, ja ein Bollwerk in Zeiten des zunehmenden Leistungsdrucks. Für sie ist sie zudem ein Ort der Selbstvergewisserung, des Rückzugs und der Geborgenheit. Menschen, die der Familie eher kritisch gegenüberstehen, betrachten sie als Enge, Unfreiheit und als einen Nährboden für Neurosen, Traumata und tiefe Verletzungen. Für Chefredakteur Wolfram Eilenberger ist die Familie für die erdrückende Mehrheit der Menschen ein Nest mannigfacher Widersprüche, Zumutungen und konkreten Enttäuschungen: „Doch zeitlebens eben auch dies: ein Nest. Das heißt, ein Ort der Zuflucht, Geborgenheit, Eigentlichkeit.“

Die Zeigegeste unterscheidet den Menschen vom Affen

Kinder sorgen nicht nur für Unruhe und Chaos, sie schmeißen manchmal auch die Werte der Familie über Bord. Und das ist gut so, meint jedenfalls der Soziologe Dirk Baecker. Denn nur wenn der Nachwuchs sich unter seinen Nächsten fremd fühlt, kann er eigene Wege gehen. Wer sich zu einem vollwertigen Individuum entwickeln will, muss seine Karriere – und alle anderen Aspekte seiner Lebensführung – auf seine eigenen Entscheidungen gründen. Eine andere Wahl hat man in den Zeiten der Moderne nicht.

Der Primatenforscher, Sprachwissenschaftler und Philosoph Michael Tomasello erklärt, warum sich der Mensch so anders verhält als jedes andere Wesen auf diesem Planeten. Er spricht mit dem Philosophie Magazin über asoziale Schimpansen, hilflose Kleinkinder und den Zwang zur Kooperation. Seiner Meinung nach gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen der Art, wie Affen miteinander kommunizieren, und wie Menschen es tun: „Er besteht zunächst in einem gestischen Verhalten, genauer, in einer Zeigegeste. Der Mensch weist einen anderen Menschen auf einen Gegenstand hin, den beide sehen oder sehen könnten.“ Das ist die menschliche Ursprungssituation.

Heinz Bude und Bernhard Pörksen diskutieren über Stimmungen

In der Rubrik „Zeitgeist“ setzt sich das Philosophie Magazin mit der Rückkehr der Horrorclowns auseinander. Sie erschrecken Menschen zu Tode, bringen das Unheimliche in die heimische und heimelige Lebenswelt zurück. Zudem passen sie sehr gut zur Unheimlichkeit der Gegenwart. Im Licht der Geschichte betrachtet, erweist sich der Clown nämlich als eine immer schon unheimliche Figur. Das liegt zunächst an seiner dicken Schminke. „Wie jedes Kind weiß, verbirgt sich hinter dem erstarrten Grinsen in Wirklichkeit ein Abgrund von Traurigkeit.“

Im „Dialog“ diskutieren der Soziologe Heinz Bude und der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen die Frage, was Stimmungen kippen lässt. In seinem jüngsten Buch „Das Gefühl der Welt“ seziert Heinz Bude präzise das Phänomen der Stimmung und behauptet mit Martin Heidegger: Stimmungen stimmen den Menschen. Sie sind das Unverfügbare schlechthin. Für Bernhard Pörksen hingegen sind Stimmungen gezielt herstellbar – auch durch Skandale, deren Dynamik er in seinem Buch „Der entfesselte Skandal“ nachspürt.

Von Hans Klumbies