Cicero rät, dass man seinen Mitmenschen gegenüber eine gewisse Rücksicht zeigen sollte, besonders gegenüber den Besten, aber auch gegen die übrigen. Er schreibt: „Denn als gleichgültig anzusehen, was ein jeder über einen denkt, verrät nicht nur einen selbstherrlichen, sondern auch einen ganz und gar bedenkenlosen Menschen.“ Cicero weist darauf hin, dass es einen Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Taktgefühl gibt, wenn man auf seine Mitmenschen Rücksicht nimmt. Das Gebot der Gerechtigkeit ist es, Mitmenschen nicht zu verletzen, die Aufgabe des Taktgefühls ist es, kein Ärgernis zu erregen. Darin erkennt man seiner Meinung nach besonders die Bedeutung des Schicklichen.
Die Vernunft steuert das pflichtgemäße Handeln
Aus diesen Feststellungen leitet sich laut Cicero das pflichtgemäße Handeln ab, das den Weg weist, der zur Übereinstimmung mit der Natur sowie ihrer Berücksichtigung führt. Seneca rät den Menschen, der Führung der Natur zu folgen, denn dann werden sie in die Irre gehen, vielmehr der Tugend folgen, die scharfsinnig und einsichtsvoll von Natur ist, die ferner auf die Vereinigung der Menschen ausgerichtet und die tatkräftig sowie tapfer ist. Laut Seneca sind es nicht nur die Bewegungen des Körpers, die zur Natur passen, sondern auch die Regungen der Seele, die nach der Natur hin ausgerichtet sind.
Für Cicero haben das Vermögen und die Natur der Seele zwei Seiten. Die eine Seite liegt in der Begierde, die den Menschen bald hierhin, bald dorthin zieht – die andere Seite in der Vernunft, die lehrt und erklärt, was zu tun und was zu meiden ist. Cicero schreibt: „Daraus ergibt sich, dass die Vernunft leitet, die Begierde gehorcht.“ Jegliches Handeln muss nach Cicero frei sein von Unüberlegtheit und Nachlässigkeit, und darf nicht verwirklichen, wofür es keinen überzeugenden Grund gibt. Darin erkennt er eine Umschreibung für das pflichtgemäße Handeln.
Die Vernunft muss die Begierden in Schach halten
Des Menschen Ziel sollte es laut Cicero sein, die Vernunft über die Begierden zu stellen, sie nicht aus Trägheit oder Untüchtigkeit im Stich zu lassen. Daneben sollte er sich ruhig verhalten und jede geistige Verwirrung vermeiden. Nur so kann Beständigkeit und Mäßigung im vollen Umfang erreicht werden. Seneca erklärt: „Denn die Begierden, die allzu weit ausschweifen und, gleichsam über die Stränge schlagend – sei es im Wünschen oder Meiden –, nicht von der Vernunft in Schranken gehalten werden, übersteigen ohne Zweifel Grenze und Maß.“
Cicero vertritt den Grundsatz, dass alle Begierden einzudämmen und zu beschwichtigen sind, die Aufmerksamkeit und Umsicht in den Vordergrund zu rücken sind, damit die Menschen nichts Unbedachtes und aufs Geratewohl hin, unüberlegt und nachlässig handeln. Seneca schreibt: „Denn nicht mit der Bestimmung sind wir von der Natur in die Welt gesetzt worden, dass wir zu Spielerei und Scherz geschaffen zu sein scheinen, vielmehr zu Lebensernst und bestimmten bedeutsameren und größeren Aufgaben.“
Von Hans Klumbies