Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), bezeichnet die aktuelle wirtschaftliche Situation in Europa nicht als Endspiel um die Währungsunion. Denn in den vergangen zwölf bis 18 Monaten wurden von den Regierungen Beachtliches geschaffen. Christine Lagarde erklärt: „Die Haushaltskonsolidierung hat überall begonnen, genauso ist es mit den Strukturreformen, zum Beispiel in Italien und Spanien. Auch auf der Ebene der Währungsunion ist viel geschehen. Das alles zeigt die Entschlossenheit der Politiker, an der Stärkung der Währungsunion zu arbeiten.“ Dennoch könnte ihrer Meinung nach noch mehr getan werden. Zum Beispiel sollte es laut Christine Lagarde eine europäische Garantie für Einlagen bei Banken geben, die darauf achtet, dass die Banken rekapitalisiert werden.
Solides Wachstum gibt es nicht ohne gesunde Staatsfinanzen
Für Christine Lagarde gibt es viele Wege, um auf europäischer Ebene eine fiskale Umverteilung der Risiken zu schaffen: Euro-Bonds sind eine Möglichkeit, kurzfristige Euro-Bills eine weitere und Euro-Projektanleihen eine dritte. Der interessanteste Weg scheint ihrer Meinung nach der Schuldentilgungspakt zu sein, den der Rat der „Fünf Weisen“ in Deutschland vorgeschlagen hat. Christine Lagarde erklärt: „Danach würden jene Staatsschulden der Euro-Mitglieder, die über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehen, von allen garantiert.“
Christine Lagarde vertritt die These, dass ohne mehr gemeinsame Haftung in der Euro-Zone das Projekt Europa gefährdet sei. Ein Schuldentilgungspakt würde dagegen den Finanzmärkten das klare Signal geben, dass Europa nach wie vor ein gemeinsames Projekt ist und von seinen Mitgliedern vereint verfolgt wird. Zudem ist die Chefin des IWF davon überzeugt, dass man nicht auf Dauer solides Wachstum ohne gesunde Staatsfinanzen haben kann. Christine Lagarde ergänzt: „Umgekehrt ist es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, ohne Wachstum den Haushalt zu konsolidieren und gleichzeitig den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern.“
Christine Lagarde hofft auf eine engere und tiefere Integration der Euro-Zone
Laut Christien Lagarde muss Deutschland eine führende Rolle bei der Bewältigung der Krise spielen, da es ein großes Land ist und wegen seiner Reformen im vergangen Jahrzehnt wirtschaftlich sehr erfolgreich ist. Sie hat das Gefühl, dass Deutschland jetzt tatsächlich schrittweise das Kommando an der ökonomischen Front übernimmt. Denn der Abbau der Ungleichgewichte in der Euro-Zone hat ihrer Meinung nach begonnen, etwa mit den jüngsten Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst und in der Metallindustrie in Deutschland.
Deutschland sollte sich gemäß Christine Lagarde auf eine andere Form des Wachstums konzentrieren. Denn bisher beruhte die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik auf ihren Exporterfolgen. Christine Lagarde fügt hinzu: „Jetzt sollen die Arbeitnehmer etwas von den Erfolgen haben, sodass sie etwas mehr konsumieren können als früher. Deutschland produziert derzeit jenseits seiner Kapazitätsgrenzen.“ Für die Zukunft hofft Christine Lagarde auf eine engere und tiefere Integration der Euro-Zone.
Von Hans Klumbies